Der 16. Grenzübertritt auf dieser Reise ist nicht nur ein Wechsel zwischen zwei Ländern, sondern zwischen zwei Welten. Ich lasse die so lieb gewonnene Türkei hinter mir und betrete mit Georgien einen Staat der ehemaligen Sowjetunion. Dort werde ich in ein paar Tagen Arne treffen, wir wollen für eineinhalb Wochen zusammen reisen und den Kaukasus von der Velospektive aus entdecken.
Die Hafenstadt Batumi
Zunächst lande ich allerdings in der Hafenstadt Batumi. Hier kann ich für zwei Tage in einer Alkoholiker-Entzugsanstalt der katholischen Caritas übernachten. Das haben mir die Christen in Trabzon vermittelt, die mich schon so herzlich bei sich aufgenommen hatten (wie man hier nachlesen kann). Ich verbringe also zwei Tage zusammen mit fünf Männern und einer Betreuerin, zu viel Kommunikation kommt es allerdings nicht. Keiner von den fünfen spricht nämlich auch nur etwas Englisch, Deutsch oder Spanisch, während ich kein Wort Russisch oder Georgisch spreche (die älteren Menschen sprechen hier sowohl fließend Georgisch, als auch Russisch). Und während die meisten Menschen in der Türkei trotz solcher Sprachbarrieren alles mögliche versuchten, um trotzdem zu kommunizieren, von meiner Reise zu erfahren und von sich selbst zu berichten, scheint man hier deutlich verhaltener. Das stört mich allerdings nicht weiter, ich bin genügend damit beschäftigt, die Wäsche zu waschen, meinen Blog zu füllen, die weitere Route zu planen oder einfach nur zu essen und zu schlafen – der Alltag eines pausierenden Radreisenden eben.
Zusätzlich nehme ich mir einen Nachmittag Zeit, um Batumi zu erkunden. Die Stadt hat eine sehr lange und herausgeputzte Promenade zu bieten, ein modernes Hotel, Restaurant und Casino reiht sich an das andere. Vermutlich sollen damit zahlungskräftige Touristen aus Russland und der Türkei angelockt werden, die neben mir über die Promenade schlendernden Menschen sprechen in jedem Fall fast alle Türkisch oder Russisch.
Als ich dann den Rückweg zu der Entzugsanstalt antrete, die etwa drei Kilometer außerhalb des Zentrums liegt, wird mir deutlich, wir groß der Unterschied zwischen dem Zentrum und den darumliegenden Stadtteilen ist. Das Zentrum ist modern und herausgeputzt, die Außenbezirke dagegen heruntergekommen und schäbig, die meisten Häuser in ihnen scheinen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr saniert worden zu sein. Ich erinnere mich an so viele andere Städte auf meiner Reise, die ähnlich aufgebaut sind: Die Reichen sammeln sich im Zentrum oder in weit entlegenen „Speckgürteln“, die arme Masse haust drumherum. Hätte ich nur diese Realität vor Augen, ich würde glatt Sozialist werden.
Doch nicht nur das fällt mir bei meinem Streifzug durch Batumi auf. Noch voll mit Gedanken und Eindrücken aus der Türkei nehme ich die ersten Eindrücke aus Georgien in gewisser Weise auch aus der Perspektive eines Türken wahr. So fallen mir umso stärker die vielen Alkohol-Shops, Werbeplakate mit halbnackten Frauen oder auch die unzähligen Spielhallen und Casinos auf – etwas, das man in der Türkei (fast) nicht sieht. Mir wird klar, wie es Menschen aus der Türkei – oder noch allgemeiner: Bewohnern von muslimisch geprägten Ländern – gehen muss, wenn sie ein westlich und christlich geprägtes Land betreten. Ihr erster Blick wird eben genau auf das treffen: Alkohol, Sex und Spielsucht an jeder Ecke. Damit werden sie schnell Rückschlüsse ziehen und zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam besser als das Christentum ist, das Christentum wird ihnen nur als etwas erscheinen, was dem Menschen Freiheit zu allen möglichen Lastern gibt. Natürlich ist mir klar, dass viele Menschen auch in der Türkei dem Alkohol fröhnen oder spielsüchtig sind, nur geschieht dies eher verdeckt. Doch trotzdem drängt sich mir die Frage auf: Wie konnte es dazu kommen, dass in einem Land, in dem sich die meisten Menschen „Christen“ nennen, moralische Abgründe derartig öffentlich sichtbar sind und akzeptiert werden?
Das beschauliche georgische Hinterland
Nach den zwei Tagen Pause setze ich mich wieder auf mein Fahrrad. Ich folge zunächst der Küste, biege aber bald ins Inland ab. Auf einer kleinen Straße mit vielen Schlaglöchern geht es beschaulich durch das georgische Hinterland. Beschaulich ist dies nicht etwa wegen der besonders beeindruckenden Natur, diese unterscheidet sich zunächst noch nicht so groß von dem, was ich in der Türkei gesehen habe. Vielmehr sind es die Häuser, die dem ganzen seinen Reiz verschaffen: Am Straßenrand reiht sich nämlich ein zweistöckiges Wohnhaus neben das andere, jedes dieser Häuser hat außerdem einen großen Garten und einen kreativ gestalteten Gartenzaun, der es von der Hauptstraße trennt.
Für Beschaulichkeit sorgen aber nicht nur die Häuser und Gärten, sondern zusätzlich die vielen Kühe, die sich liebend gerne neben oder sogar auf der Straße aufhalten. Soweit ich es erkennen kann, gibt es zwar auch viel Weidefläche zwischen den ganzen Häusern und Gärten; anscheinend bevorzugen es die Kühe aber, sich auf der lebendigen Straße aufzuhalten. Und da das Gras auf der anderen Seite der Straße immer grüner erscheint, kreuzen sie plötzlich aber doch in aller Kuhruhe die Straße, was Autos (und auch mich) zu vielen Vollbremsungen zwingt.
Und die Georgier? Die halten sich auch gerne auf einer solch lebendigen Hauptstraße auf, schauen den Kühen beim Kreuzen der Straße zu und unterhalten sich vor einem der vielen kleinen Lebensmittelläden. Wenn dann mal ein ausländischer Radfahrer vorbeifährt, ist das natürlich ein besonderer Hingucker. Allerdings – und hier kommt schon wieder ein Vergleich mit der Türkei – grüßen mich die Menschen am Straßenrand fast gar nicht. Ich bin es noch aus der Türkei gewohnt, jedem Menschen am Wegesrand kräftig zuzunicken. Während die Menschen an türkischen Straßen mir allerdings meist schon mit einem freundlichen Ruf voraus waren, reagieren die Menschen hier eher überrascht über mein Nicken. Generell scheint es mir, dass die Menschen hier zwar freundlich, doch gerade Fremden gegenüber viel zurückhaltender sind. Das mag ein Überbleibsel aus Sowjetzeit sein? Doch ich will mir nicht schon wieder vorschnell ein Bildnis über „den Georgier“ machen, sondern offen für alles sein, was mir begegnet.
Fahrradfahren mit einem Sachsen
Am Nachmittag komme ich in der Kleinstadt Tschochatauri an. Hier habe ich mich mit Arne verabredet, der heute in Kutaisi landet. Arne ist 55 Jahre alt, wohnt im äußersten sächsischen Osten und hat im Internet von meinen Reiseplänen erfahren. Da er gerade ein paar Tage Urlaub hat, hat er sich spontan dazu entschieden, mich für zehn Tage auf meiner Reise durch Georgien und Armenien zu begleiten.
Als wir uns am Abend auf dem Marktplatz in Tschochatauri treffen, wird mir sofort klar, dass wir ganz unterschiedliche Menschen sind und im Arbeitsalltag wohl nie zueinander gefunden hätten: Arne ist ein Kind der DDR und arbeitet als Konstrukteur, ich bin ein „Wendekind“ und Sozialarbeiter. Doch uns verbindet die Liebe für das Reisen mit dem Fahrrad. Arne macht dies seit Jahrzehnten – wann immer er ein paar Tage frei hat, bucht er sich einen Flug, packt sein Fahrrad und erkundet neue Welten. Ich freue mich, die nächsten Tage mit so einem reiseerfahrenen Menschen unterwegs sein zu dürfen.
Als wir am nächsten Morgen gemeinsam aufbrechen, wird mir schon nach wenigen Kilometern klar, dass Arne vieles anders macht, als ich. Aber das ist ja auch logisch, jeder entwickelt eben so seine eigene Art zu reisen, gerade wenn man lange unterwegs ist. Ich denke, es ist wichtig, nicht zu sehr auf die eigenen Gewohnheiten zu bestehen, sondern offen für Änderungen zu sein. Das sage ich mir zumindest selber, als wir aufbrechen: Ich möchte von Arne lernen, Einblick in seine „Velospektive“ erhalten und meine eigene hinterfragen.
Ein großer Unterschied ist beispielsweise die Art des Fotografierens: Während ich oft stundenlang gar kein Foto schieße und dafür auch nicht extra mein Fahrrad abstelle und irgendwo hochklettere, um eine möglichst gute Perspektive zu gewinnen, macht Arne dies andauernd. Zusätzlich fotografiert er liebend gerne Blumen, etwas, das mir bisher ebenfalls nur äußerst selten in den Sinn gekommen ist.
Ich nehme Arnes Fotografierlust gelassen und freue mich auf die vielen schönen Aufnahmen.
Eine verschneite Passstraße
Bald hinter Tschochatauri geht es steil bergauf, wir haben uns vorgenommen, über eine kleine Passstraße in die südlichen Berge Georgiens zu gelangen. Diese Berge werden auch „kleiner Kaukasus“ genannt, der teilweise über 5000 Meter hohe „große Kaukasus“ im Norden ist zu dieser Jahreszeit noch zu verschneit, um ihn mit dem Fahrrad zu bereisen. Doch auch im Falle unserer Route sind wir uns nicht so sicher, ob wir sie tatsächlich bewältigen können. Nachts hat es ordentlich geregnet, ist dieser Regen auf dem über 2000 Meter hohen Pass, den wir heute überqueren wollen, womöglich als Schnee vom Himmel gefallen? Alle Georgier, denen wir von unserer geplanten Route erzählen, schauen uns jedenfalls skeptisch an.
Schon ab 1000 Metern ist die Straße äußerst wenig befahren. Als wir durch ein letztes Dorf auf etwa 1200 Metern fahren, versuche ich die Blicke der Bewohner zu deuten: Halten sie uns für verrückt und wissen sie, dass die Überquerung zu dieser Jahreszeit unmöglich ist? Oder bewundern sie uns nur für unseren Mut? Als wir nach wenigen weiteren Kilometern und auf 1600 Metern beereits von reichlich Neuschnee umgeben sind, scheint mir das erstere wahrscheinlicher. Wir müssten uns noch weitere 500 Meter hocharbeiten, schon jetzt können wir die Räder nur schieben – die Passüberquerung ist im Moment also einfach nicht möglich.
Der Leser mag sich nun wundern, wieso wir denn die Leute im besagten Dorf nicht einfach gefragt haben? Das hätte uns tatsächlich einige Arbeit erspart, aber manchmal muss man Dinge eben am eigenen Leib erfahren, um wirklich überzeugt zu sein. Desillusioniert und vom Hinauffahren nass geschwitzt sausen wir also die Straße hinab, die wir gekommen sind. Als wir uns wieder im Dorf auf 1200 Metern befinden, fühlen wir uns wie zwei Eisklötze. Arne reagiert auf soetwas mit Übelkeit. Er muss sich an den Straßenrand setzen, aber nicht einmal für’s Sitzen reicht die Kraft, er wird kurz ohnmächtig und fällt auf den Boden. Als er wieder einigermaßen bei Verstand ist, trägt er sich zu dem Haus, vor dem er gerade zu Boden gegangen ist und verschwindet darin.
Bei mir hat die Kälte wohl zu Langsamkeit im Denken geführt, ich betrachte das ganze nur und warte auch noch auf meinem Fahrrad, als Arne sich bereits im Haus befindet. Wenig später tritt ein alter Mann aus diesem Haus und winkt mich heran. Als ich ebenfalls in das Haus eintrete, sehe ich Arne schon ausgestreckt auf einem Sofa liegen und eine Wärmflasche auf dem Bauch haben. Überschwänglich weisen mir der Mann, seine Frau und ihre Tochter einen Platz neben dem warmen Kamin. Ehe ich mich versehe, halte ich einen wamen Tee in der Hand, während Arne ein heißes Fußbad verabreicht bekommt.
Derartig gut versorgt sind wir innerhalb kurzer Zeit wieder aufgewärmt. Wir danken der Familie mehrmals, dass sie uns in dieser Notlage so herzlich geholfen habt. Sie wiederum scheinen überglücklich, dass sie uns helfen konnten und laden uns wie selbstverständlich zum Essen und zum Übernachten ein. Doch wir wollen noch heute wieder ganz hinab bis nach Tschochatauri. So sausen wir den Rest der Passstraße hinab, die Dankbarkeit überwiegt in uns über der Tatsache, dass wir die geplante Route nicht fahren konnten.
Das georgische Tiefland
Am nächsten Morgen haben wir die notwendige Alternativroute bereits klar vor Augen: Wir werden zunächst durch das Tiefland fahren, um dann auf einer großen Hauptstraße, die durch den kleinen Kaukasus in die Türkei führt, in die Berge zu gelangen. Auf dieser Straße sollten wir dann auf unsere ursprüngliche Route treffen, die uns über ein Hochplateau nach Armenien führt.
Das Fahrradfahren im Tiefland ist zwar idyllisch, geht aber trotzdem nicht gerade schnell vonstatten. Entweder kämpfen wir uns auf einer Hauptstraße an der Seite vieler LKWs voran, die uns knapp überholen, da es keinen Seitenstreifen gibt; oder aber, wir nehmen kleinere Straßen, bei denen man vor lauter Schlaglöcher den Straßenbelag nicht mehr sieht. Der Regen, der die Schlaglöcher füllt, setzt uns zusätzlich zu.
Immerhin – das Übernachten gestaltet sich einfach. An einem Abend finden wir am Rande eines Flusses einen guten Zeltplatz; an einem anderen fragen wir bei einem Haus nach, ob wir im Garten zelten dürfen und werden eingeladen, im Haus zu übernachten.
Dort verbringen wir den Abend mit Rezi und seiner Mutter. Rezi ist mit seinen Geschwistern in diesem Haus aufgewachsen. Mittlerweile lebt seine Mutter jedoch alleine hier, alle Kinder sind in die Stadt gezogen. Nur an Wochenenden oder Feiertagen kommen sie mit ihren Enkelkindern ihre Mutter besuchen und können sich dann eins von zehn Betten aussuchen, von denen alle fein säuberlich bezogen sind und bereit stehen. Wir nehmen an diesem Abend dankbar an Stelle der Kinder in zwei der Betten Platz.
Mir scheint, dass dieses Haus beispielhaft für das ganze Land steht: Gefühlt die Hälfte all dieser großen und schönen Häuser auf dem Land stehen leer. Der Rest wird von den übriggebliebenen, alten Leuten bewohnt. Die Jungen zieht es in die Städte, wo es Arbeit gibt. Industrie auf dem Land scheint es in Georgien nur in Form von rostenden Fabriken aus Sowjetzeiten zu geben.
Achalziche – zwischen christlicher und muslimischer Geschichte
Nach zwei Tagen im Tiefland befinden wir uns wieder auf 1000 Metern und in der Stadt Achalziche. Hier wird es zum ersten Mal touristisch. Die Altstadt ist nämlich sehr gut erhalten bzw. gut restauriert. Hinter der Stadtmauer klettern wir auf Wehrtürme und besichtigen die große Moschee – ja genau, eine Moschee. Diese ist ein Zeugnis von der muslimischen Herrschaft im Land, die sich an das sogenannte „goldene georgische Zeitalter“ im 10. Jahrhundert anschloss. So kann man in Georgien heute viele gut erhaltene Kirchen und Klöster aus dem 10. und 11. Jahrhundert besichtigen, genauso trifft man allerdings auch auf Überreste der muslimischen Religion.
In Achalziche kommt beides auf beeindruckende Weise zusammen, die Altstadt ist ein wilder Mix verschiedenster Architektur-Perioden. Zusätzlich bin ich beeindruckt von dem Erhalt und der Aufbereitung der Altstadt. Damit geht ein recht großer Strom von Touristen einher. Die Infrastruktur ist sehr gut, viele Busse karren Reisegruppen heran, es gibt moderne Restaurants und Cafés. Georgien scheint schon lange kein Geheimtipp mehr zu sein.
Die Höhlenstadt Wardsia
Nach den vielen Monaten auf dem Rad merke ich, dass ich besonders von dem Besuchen solch touristischer Attraktionen gesättigt bin, so schön sie auch sein mögen. Als Arne am nächsten Tag vorschlägt, dass wir von unserer Route abweichen, um die Höhlenstadt Wardsia aus dem 10. Jahrhundert zu besichtigen, kommt es zu einem dieser typischen Konflikte, wenn man zu zweit unterwegs ist: Er möchte die Höhlenstadt unbedingt sehen, ich bin für’s Weiterfahren, gerade Felsen- und Höhlenstädte habe ich schließlich in letzter Zeit zu Hauf gesehen. Was macht man in so einer Situation? Letztens haben mir zwei Radreisende erzählt, dass sie eine Münze werfen. Arne und ich diskutieren es aus – und entscheiden uns für die Höhlenstadt.
Als wir schließlich ankommen, wundern wir uns darüber, dass wir fast die einzigen Besucher sind und dass zusätzlich nicht mehr viel von den Höhlen zu sehen ist. Ich denke mir insgeheim, dass es dieser Ort nicht wert für einen solch großen Umweg ist. Doch dann treffen wir auf einen Deutschen (natürlich, nur deutsche Toruisten verschlägt es an solch entlegene Orte!), der uns erklärt, dass es sich bei diesem Ort nicht um die eigentliche Stadt, sondern um einen älteren Vorort handelt.
Also führen wir brav unseren Rundgang durch diesen Vorort zu Ende und radeln drei Kilometer in das eigentliche Wardsia. Hier gibt es tatsächlich viel mehr zu sehen! Und hier sind wir auch wieder umgeben von vielen Touristen und Reisebussen. Wardsia wird wahrscheinlich im kommenden Jahr auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Zurecht, wie ich nach kurzer Zeit zugeben muss, der Umweg hat sich doch gelohnt.
Auf hoher Straße nach Armenien
Zurück auf der eigentlichen Route fahren wir weiter bergauf, bis wir auf 2000 Metern ein Hochplateau erreichen. In dieser luftigen Höhe befindet sich die Grenze zu Armenien. Mit uns wollen einige LKWs in dieses Land, der (nicht vorhandene) Straßenbelag sorgt jedoch dafür, dass sie teilweise langsamer voran kommen, als wir. Ich frage mich, ob die Straße bewusst in solch schlechtem Zustand belassen wird, damit möglichst wenige Menschen Georgien verlassen? Arne und ich freuen uns in jedem Fall über unsere breiten Reifen.
Kurz vor dem Grenzübertritt sage ich zu Arne, dass es doch intelligent wäre, in dem letzten georgischen Dorf etwas zu Essen, schließlich haben wir noch kein armenisches Geld. Arne stimmt zu. Als wir in das Dorf hineinfahren, finden wir jedoch keinen Markt, geschweige denn ein Restaurant. Dafür winken uns zwei aufgeweckte Jungen zu, noch mehr aber ihre Mutter, die uns zu erklären versucht, dass wir doch ein Foto von den beiden Jungs machen sollten. Als Arne die beiden auch noch filmt, scheint die Mutter überglücklich und fragt: „Youtube?“ Ich antworte bestimmt: „Ja, Youtube!“ (Genau, liebe Leser, bald wird es wieder einen Film zu dieser Reise geben.)
Aus lauter Dankbarkeit bittet sie uns in ihr Haus, in dem nach kurzer Zeit der Tisch für uns gedeckt ist. Wie praktisch, da haben wir also unser Essen! Es ist dann aber nicht sie, die sich mit uns an den Tisch setzt, sondern ihr Mann. Der hat nämlich einiges zu erzählen, war er doch in den 80er Jahren als Soldat in der DDR stationiert. Stolz nennt er allerhand deutsche Ortsnamen. Als ich ihm mithilfe Google Translators antworten möchte, stelle ich fest, dass er kein Georgisch versteht, sondern nur Russisch und Armenisch. In dem ganzen Dorf, in dem wir uns gerade befinden, würden nur Armenier leben. Die Grenzziehung scheint hier also nur sehr grob die Sprach- und Volkszugehörigkeit wiederzuspiegeln.
Nach dem guten Mittagessen zeigt er uns dann, woher das Essen stammt, das wir gerade zu uns genommen haben, nämlich alles von dem eigenen Hof. Direkt neben dem Haus hält sich die Familie einige Kühe, etwas weiter weg eine Schafherde, sogar das Brot backen sie jeden Morgen selber. Auch den Mist der Kühe und Schafe nutzen sie, sie trocknen ihn an der Sonne und heizen damit das Haus. Ich erinnere mich an Begegnungen in den türkischen Bergen, auch dort gibt es noch viele Dörfer, in denen zu 100 Prozent die Lebensmittel aus der eigenen Produktion stammen.
Nach dieser guten Einstimmung auf Armenien überschreiten wir endlich die Grenze. Die nächsten drei Tage wollen wir den armenischen Teil des kleinen Kaukasus erkunden, bevor es zurück nach Georgien und in die Hauptstadt Tiflis geht.