Geht ein Mensch auf große Radreise, dann kann er sich sicher sein, dass er Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er von vielen Menschen angesprochen wird, dass sie ihn bewundern, sobald er verrät, woher er kommt und wo er hinmöchte. Wie sehr ich es genieße, wenn Menschen mich mit erstaunten und ehrfurchtsvollen Augen anblicken, nachdem ich ihnen gesagt habe, dass ich von der Schweiz bis in ihr Dorf geradelt bin!
„Hoffentlich stellen sie Fragen zu meiner Reise“
Diese Momente ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit können süchtig machen. Oft fahre ich in ein Dorf und hoffe insgeheim darauf, dass ich angesprochen werde, dass mich Menschen bewundern, dass sie Fragen zu meiner Reise stellen und anderen aufgeregt von mir erzählen. Ich halte mich in diesen Momenten für das Zentrum des Universums, die Einheimischen erscheinen mir nur als Statisten für meine eindrucksvolle Erscheinung.
Natürlich ist es nicht immer so einseitig. Ich interessiere mich auch für die einheimische Kultur. Und wenn ich mit Familie und Freunden telefoniere, rede ich nicht nur von mir selbst, sondern stelle auch Fragen über ihr Leben. Doch wenn ich ehrlich bin, denke ich dabei doch immer wieder: „Euer Leben ist so normal, so durchschnittlich, fast langweilig. Mein Leben dagegen ist so aufregend, so außergewöhnlich, so überdurchschnittlich! Würdet ihr doch nur mehr Fragen zu meiner Reise stellen!“
Fragen meinerseits sind oft nur Mittel zum Zweck, um selbst gefragt zu werden. Solch eine vorgetäuschte Demut kann zu einem eigenen Lebensstil werden.
Die Angst, nur Durchschnitt zu sein
Hinter diesem Verhalten steckt mein Verlangen, etwas besonderes zu sein. Ich fürchte mich davor, nur Durchschnitt zu sein. Ich habe studiert – sogar zweimal! – um besonders gebildet zu sein. Neben dem Studieren habe ich gearbeitet, um besonders fleißig zu sein. Und natürlich durfte auch Sport nicht fehlen, um besonders fit und gesund zu sein. Jetzt reise ich mit dem Fahrrad. Das macht mich noch besonderer – wer reist schon mit dem Fahrrad um die Welt?!
Natürlich geht es mir nicht einfach darum, gebildet, fleißig oder sportlich zu sein. Was mir besondere Genugtuung verschafft, sind diese Momente, in denen ich bemerke (oder noch besser: in denen andere bemerken), dass ich gebildeter, fleißiger oder sportlicher als der Durchschnitt bin. Dieses Ziel, andere zu übertrumpfen, treibt mich täglich an.
Dieses Ziel hätte man nicht besser beschreiben können, als es C. S. Lewis in seiner Auseinandersetzung mit Hochmut getan hat:
Wir sagen, die Menschen seien stolz auf ihren Reichtum, ihre Klugheit oder ihre Schönheit. Aber das ist nicht richtig. Sie sind stolz, weil sie reicher oder klüger oder schöner sind als andere. Wären alle anderen genauso reich, genauso klug oder genauso schön, dann hätten sie keinen Grund mehr, stolz zu sein. Hochmut erwächst aus dem Vergleich mit anderen; er ist das Vergnügen, anderen überlegen zu sein.
C. S. Lewis
So jage ich tagtäglich diesen kleinen Momenten der Anerkennung hinterher. Das mag ein lobender Kommentar unter einem Blogeintrag sein, ein Daumen hoch bei Facebook, ein Like auf Instagram; es macht mich glücklich, wenn die Zahl der Abonnenten meines Newsletters zunimmt; das Gefühl, von jemandem gesagt oder geschrieben zu bekommen, dass er meine Reise gespannt verfolgt und mich bewundert, ist kaum zu übertrumpfen.
Von der Leere menschlicher Anerkennung
Wieso höre ich aber nicht auf zu reisen, mich zu bilden oder Sport zu machen, wo mir doch schon so viele Menschen ihre Anerkennung geschenkt und mich bewundert haben? Weil mich menschliche Anerkennung nie zufrieden stellt. Es ist wie die Sucht nach einer Droge, von der man immer mehr will, die einen nur für eine kurze Zeit zufriedenstellt.
Vor meinem Studium dachte ich: „Wenn ich doch nur das Zeugnis in der Hand halte, dann werde ich riesiges Glück empfinden und viel Anerkennung erlangen.“ Als ich dann aber meinen Abschluss feierte, beschäftige mich der Gedanke an diejenigen, die einen besseren Notendurschnitt hatten, viel mehr, als die Freude über meine eigenen guten Noten.
Als ich mit dem Marathontraining anfing, dachte ich mir: „Einmal einen Marathon unter vier Stunden zu finishen, das wäre schon ein Riesenerfolg, den nur die wenigsten Menschen in ihrem Leben feiern werden.“ Als ich vier Jahre später den Wien-Marathon in drei Stunden und zwölf Minuten lief, ärgerte ich mich darüber, dass ich es nicht in weniger als drei Stunden geschafft hatte und dass es noch so viele bessere Läufer gibt.
Vor meiner Reise dachte ich mir: „Einmal mit dem Fahrrad nach Jerusalem zu fahren, das wäre eine unglaubliche physische und mentale Leistung, für die mich viele Menschen bewundern werden.“ Jetzt bin ich in Amman; das Glücksgefühl über das erreichte Ziel ist längst vergangen.
Im Moment beschäftigt mich der Gedanke, ob ich die Reise fortsetzen und tatsächlich um die Welt fahren, oder wieder nach Europa zurückfahren soll. Ich fürchte mich vor der zweiten Option, weil ich dann nicht das besondere Ziel erreicht hätte, mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren. Ich weiß allerdings schon jetzt, dass, falls ich es tatsächlich erreichen sollte, mich auch dieses Glücksgefühl nur für kurze Zeit zufrieden stellen würde. Schnell würde ich mich mit anderen Weltumrundlern vergleichen, die mehr Kilometer gemacht, mehr Länder besucht oder tollere Fotos und Filme gemacht haben.
Wie lange ich auf dieser Erde auch leben und wie viel ich in dieser Zeit auch erreichen mag, Bewunderung und Anerkennung von anderen Menschen wird mich nie zufrieden stellen.
„Du musst dich nur selbst annehmen“
Was für eine Alternative habe ich? Was soll man machen, wenn man im Wettlauf um Anerkennung nie an ein Ziel gelangt? So viele Menschen gehen an der Sehnsucht nach Bewunderung kaputt. In der Werbung wird ihnen ein Schönheitsideal gezeigt, dass sie einfach nicht erreichen können. Jugendliche schwärmen für Fußballer und Sportler, von deren Leistungen sie Lichtjahre entfernt sind. Und wenn es weder das gute Aussehen, noch der Sport ist, so lässt sich doch im Leben von jedem Menschen ein Berich finden, in dem er versucht, besser zu sein, als der andere. Gibt es einen Ausweg?
Die allgegenwärtige Antwort lautet heutzutage, sich selbst anzunehmen. Auch in der Sozialen Arbeit scheint dies die Patentlösung zu sein. Da werden Menschen empowert, mit allen Mitteln wird an ihrem Selbstwertgefühl gearbeitet. Dem Mädchen etwa, das einfach nicht das angestrebte Schönheitsideal erreicht, wird gesagt: „Achte nicht darauf, was andere über dich sagen; vergleiche dich auch nicht mit ihnen. Nimm dich an, so wie du bist, denn du bist einzigartig und wunderbar.“ Auch aus vielen Kirchen und christlichen Gemeinden kann man diesen Slogan heute lautstark vernehmen: „Du bist geliebt von Gott, er hat dich wunderbar gemacht, nimm dich selbst an, so wie du bist.“
Wäre das eine Lösung für mich? Soll ich mich einfach annehmen, so wie ich bin? Dann müsste ich mich nicht mehr um Likes im Internet oder Bewunderung am Wegesrand bemühen. Dann wäre ich befreit von dem Druck, mich anderen zu präsentieren, mich in den Mittelpunkt zu stellen, um Bewunderung zu erlangen.
Es mag erstmal nach einer möglichen Lösung klingen. Doch wenn ich ganz ehrlich zu mir selber bin, kann ich mich nicht so annehmen, wie ich bin. Denn ich bin alles andere, als ein „toller Hecht“. Wenn ich mich nur fünf Minuten kritisch selbst betrachte, muss ich mir eingestehen, dass ich ein Versager bin. Alleine dem moralischen Grundsatz, andere so zu behandeln, wie ich selbst behandeln werden möchte, bin ich nicht mal an einem Tag meines Lebens gerecht geworden.
Der dritte Weg
Ich habe einen anderen Ausweg gefunden. Er ist in der Bibel beschrieben, im ersten Brief an die Korinther. Unter diesen Korinthern gab es einige, die fanden Paulus einen „tollen Hecht“, andere schenkten einem Mann namens Apollos ihre Anerkennung, andere wiederum stellten sich an die Seite von Petrus. Paulus reagiert darauf, und seine Antwort ist beeindruckend, weil sie so ganz gegen die menschliche Logik steht:
Doch was mich betrifft, so ist es mir völlig gleichgültig, ob ich von euch oder irgendeinem menschlichen Gericht beurteilt werde. Ja, ich maße mir nicht einmal selbst ein Urteil über mich an.
Die Bibel, 1. Korinther, Kapitel 4, Vers 3
Paulus schert sich also nicht um die Bewertung und damit auch nicht um die Anerkennung der anderen. Das war zu erwarten. Das bekommt man auch heute am laufenden Band gesagt. Doch dann fügt er hinzu, dass er auch auf sein eigenes Urteil nichts gibt. Das ist das Bemerkenswerte! Paulus sucht weder Anerkennung vor anderen (er weiß, dass er sie nicht verdient), noch vor sich selbst (er weiß, dass er sich selbst belügen würde).
Vor wem aber dann? Klar, das Zitat stammt aus der Bibel, also muss ja irgendwann Gott ins Spiel kommen. Paulus findet seine Anerkennung alleine vor Gott. Doch wie kann jemand, der von sich selbst an anderer Stelle (1. Timotheus 1,15) sagt, dass er ein totaler Versager ist (ich bin also in guter Gesellschaft), sich anmaßen, vor Gott Anerkennung zu finden? Die Antwort gibt er selbst an mehreren Stellen, am klarsten und prägnantesten aber hier:
Es gibt also kein Verdammungsurteil mehr für die, die mit Jesus Christus verbunden sind.
Römer 8,1
Hier wird in konzentrierter Form ausgedrückt, dass Paulus sich keine Anerkennung vor Gott erarbeitet hat und dass kein Mensch dies jemals tun kann, sondern dass Gott die Anerkennung selbst erwirkt hat. Als Jesus Christus am Kreuz gestorben ist, hat er alle unsere Fehler, unser Scheitern, unser Versager-Dasein auf sich genommen und für uns getragen. Nur deshalb kann Paulus schreiben, dass er Anerkennung vor Gott findet.
Das ist einzigartig! Damit wird jegliche menschliche und religiöse Logik auf den Kopf gestellt. Egal welche Weltanschauung oder Religion, überall wird uns genau das Gegenteil erzählt. Im Atheismus sucht der Mensch aus sich heraus Anerkennung, im Buddhismus sucht der Mensch aus sich heraus Anerkennung, im Islam sucht der Mensch aus sich heraus Anerkennung; wer das Neue Testament aufschlägt, liest dagegen, dass der Mensch niemals vollkommene Anerkennung aus sich heraus bewirken kann, Gott tut es für uns.
Es gibt also einen dritten Weg: Ich muss mich nicht um die Anerkennung von anderen kümmern, ich muss mir aber auch nicht selbst sagen, dass ich ganz okay bin. Durch Jesus Christus finde ich vollkommene Anerkennung vor Gott – und das ist alles, was zählt.
Wie soll ich weitermachen?
Ich versuche, diesen dritten Weg zu gehen. Was bedeutet das aber für meine Reise? Müsste ich sie nicht konsequenterweise beenden? Oder müsste ich nicht zunmindest das Bloggen beenden, mich bei Facebook und Instagram abmelden und keine Videos mehr machen? Sollte ich inkognito reisen und möglichst über meine Route und die bereits gefahrenen Kilometer schweigen, wenn ich jemanden treffe? Ich habe mich in letzter Zeit tatsächlich immer wieder gefragt, ob es mir bei all meinem Reisen und darüber Berichten nicht nur darum geht, Anerkennung zu erlangen und ich es deshalb beenden sollte.
Doch dann habe ich mir gesagt, dass es nicht die Frage ist, ob ich reise, sondern wie ich reise. Dreht sich alles nur um mich, geht es mir nur darum, Anerkennung und Bewunderung zu finden? Dann wäre diese Reise tatsächlich ziemlich sinnlos – wie überhaupt mein ganzes Leben. Doch ich kann diese Reise auch so versuchen zu gestalten, um anderen Menschen und Gott damit zu dienen. Dann hat sie eine Berechtigung und einen wahren Wert.
An dieser Stelle scheint es mir nochmals sinnvoll, die brilliante Ausführung von C. S. Lewis zu zitieren. Lewis fragt, wie sich denn eine wahrhaft demütige Person verhält – eine Person also, der es nicht darum geht, Anerkennung aus dem Vergleich mit anderen zu erlangen.
Sie sollten nicht meinen, ein wirklich demütiger Mensch wäre das, was die meisten Leute heute unter «demütig» verstehen: Er wird bestimmt keiner von diesen schmierigen, unterwürfigen Leuten sein, die einem ständig erzählen, was für ein Niemand sie doch seien. Das Einzige, was Ihnen vermutlich an ihm auffallen wird, ist, dass er ein heiterer, intelligenter Bursche zu sein scheint, der sich wirklich dafür interessiert, was Sie zu ihm sagen. Wenn Sie ihn nicht mögen, wird es daran liegen, dass Sie ein bisschen neidisch darauf sind, dass jemand das Leben so unbekümmert genießt.
C. S. Lewis
Genauso möchte ich reisen und leben: Ich möchte fröhlich anderen Menschen begegnen, ihnen von mir erzählen und offen für das sein, was sie mir erzählen. Dabei möchte ich keine falsche Demut zeigen, also mich zurückhalten, nur damit sie mir von sich aus Fragen stellen. Ich möchte offen und ehrlich hier auf dieser Seite von meiner Reise berichten und mit genauso großem Eifer andere Berichte lesen und mich für das Leben von anderen Menschen interessieren.
Ich weiß, dass ich immer wieder neu in die Versuchung kommen werde, mich selbst nur in den Mittelpunkt zu rücken, um Anerkennung zu gewinnen, um Bewunderung zu erlangen. Schon jetzt bete ich deshalb:
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.Psalm 139, 23+24
Literaturempfehlung
C. S. Lewis – Mere Christianity; auf Deutsch (leider sehr unglücklich übersetzt): Pardon, ich bin Christ
7 Kommentare
Ein Beitrag, der nachdenklich stimmen lässt. C.S. Lewis ist auch meine Referenz, wenn es um das Thema „Demut“ geht. Sehr schön finde ich hierzu auch noch die Passage in „Dienstanweisung für einen Unterteufel“: „Lasse ihn Demut nicht ansehen als das Vergessen des Ichs, sondern als eine Art Einschätzung (nämlich eine geringe) der eigenen Gaben und des eigenen Charakters. Ich sehe, er hat wirklich einige Gaben. Fixiere in seinem Gehirn die Idee, die Demut bestehe darin, zu versuchen, diese Gaben geringer zu achten, als er sie in Wirklichkeit einschätzt.“
Demut definiert Lewis schön als „Vergessen des Ich“. So auch in Mere Christianity: „The real test of being in the presence of God is that you either forget about yourself altogether or see yourself as a small, dirty object. It is better to forget about yourself altogether.“
Liebe Grüße
Adibel
Sehr gut! „Dienstanweisung für einen Unterteufel“ steht auf meiner Liste ganz oben, werde ich demnächst lesen – wahrscheinlich irgendwo in Asien in meinem Zelt. Danke für den Tipp.
[…] Essays […]
Eben entdeckt und gestaunt, sehr gut geschrieben! Und viel Gutes festgehalten, natürlich auch mit dem dritten Weg
danke
Danke Joachim!
Hallo Benni,
Bin durch Zufall auf diesen Artikel gestoßen.. schön wie radikal ehrlich/authentisch und reflektiert er sich für mich liest. Dieses Thema „was besonderes“ zu sein, treibt bestimmt viele Menschen heutzutage an (was sie über Kleidung, Reisen, Bildung etc.) erreichen wollen.. ich freu mich wenn du einen Weg gefunden hast, für dich gut damit umzugehen 😊. Liebe Grüße, eine Sozialarbeiterin 😜
Danke Anna,
liebe Grüße zurück von einem Sozialarbeiter 😉