Bikepacking Trans Germany 2019 – Tag Eins

by Benni

Während des Rennens habe ich immer wieder die Sprachaufnahme-App in meinem Smartphone gestartet und auf dem Rad sitzend die Geschehnisse der letzten Stunden aufgesagt. Dieser Bericht folgt diesen Sprachaufnahmen – obwohl das Rennen mittlerweile zwar vorbei ist, versuche ich mich an den Aufnahmen und meinen unmittelbaren Gedanken zu orientieren und diese hier wiederzugeben, anstatt vom Ende her auf das Rennen zurückzublicken.

Start am Birsköpfli

6 Uhr, der Handywecker klingelt, ich bin aber schon lange wach. Erster Renntag. Die morgendliche Müdigkeit ist bald verfolgen. Heute geht‘s endlich los. Schon komisch – obwohl ich genau weiß, dass mich mehrere Tage Schlafentzug, Schmerzen und Qualen erwarten, freue ich mich. Ich freue mich auf den gemeinsamen Start, auf das Fahren zusammen, auf das Fahren alleine, endlich werde ich feststellen, wie viel ich wirklich leisten kann, wo mein Limit ist, ob das Material so funktioniert, wie ich es mir ausgedacht habe.

Frühstück, um 6.45 Uhr rolle ich los zum Birsköpfli. Es sind nur 15 Minuten. Pünktlich um 7 Uhr bin ich da. Auch die anderen Fahrer sind schon fast alle anwesend. Die meisten haben im Freibad übernachtet. Diejenigen, die nur einen Biwaksack dabei hatten, sind schnell in die Toilettenhäuschen geflüchtet, als der Regen kam. Das ging wohl ganz gut – die meisten wirken recht zuversichtlich.

Ich rede noch ein bisschen mit Peter Scheerer und Tilo Lier, begutachte einige Bikes. Dann treffe ich Martin Pauli, einen Schweizer, der letztes Jahr auch schon dabei war. Er erzählt mir, dass er von Anfang an meine Reiseberichte lesen würde – genial.

Thomas und Achim rufen alle Fahrer zusammen, geben letzte Instruktionen. Es sind die Informationen von gestern in Kurzform. Wichtig ist, dass es einen neutralen Start gibt, Achim wird vorne weg fahren, ihn soll man zunächst nicht überholen. Nach den Infos gibt‘s noch ein Gruppenfoto, dann geht jeder zu seinem Fahrrad.

Um 7.45 Uhr kommt Danny, ein Freund aus Basel. Schön, noch ein vertrautes Gesicht am Start zu sehen. Er schießt ein paar Fotos, dann setzt sich das Feld von gut 100 Fahrern in Bewegung. Tschüss Danny, tschüss Basel – nächster Halt Rügen.

Hohes Tempo gleich zu Beginn

Wir rollen über das Stauwerk und über die Grenze nach Grenzach-Wyhlen und nach Deutschland. Eigentlich löst sich schon hier das zusammenhängende Feld auf. Ich bin recht weit vorne, werde aber peu à peu von etwa 10 Fahrer überholt. Ich überhole nur drei, unter ihnen Lieven Schroyen, der sich am Streckenrand von seiner Frau verabschiedet. Einer dieser schnellen Belgier (der andere, Stefan Maertens, ist nicht an den Start gegangen). Er wird mich bestimmt gleich wieder überholen.

So kommt es auch. Vor mir habe ich nun etwa 25 Fahrer. Man, sind die schnell! Ich hänge in meiner Aerobar und bin für meine Verhältnisse sehr zügig unterwegs. Aber die vor mir scheinen noch ambitioniertere Zielzeiten zu haben. Mein Plan für den ersten Tag sieht vor, auf keinen Fall zu schnell loszustürmen. Schon vom Marahonlaufen weiß ich, dass die meisten zu Beginn zu viel Energie verschwenden, sich von der Euphorie und den anderen mitreißen lassen. Ich versuche also entspannt zu bleiben. So viele mich auch noch überholen werden, ich fahre mein Tempo.

Fotos von Achim Walther

Es geht eine mir sehr bekannte Strecke entlang. Beim Kraftwerk Augst überqueren wir wieder den Rhein. Ab hier ging es die letzten Jahre auf kleinen und anspruchsvollen Trails direkt am Rhein entlang. Aber bei den vielen Teilnehmern ist das nicht mehr möglich, da würde es zu einigen Konfrontationen mit arglosen Sonntags-Spaziergängern kommen. Wir folgen also stattdessen den großen Radwegen. Angenehm, hier kann man es rollen lassen. Vielleicht pirschen die vor mir deshalb auch so schnell weg, die ersten 80 Kilometer flache Strecke wollen sie wohl maximal nutzen.

Kurz vor Rheinfelden taucht auf einmal Ariel, der Chilene, neben mir auf. Er fragt mich doch tatsächlich über das Streckenprofil aus. Hat sich offensichtlich gar nicht über die Route informiert. Sehr naiv natürlich, aber irgendwie auch sympathisch. Ich versuche ihm einen kurzen Überblick zu geben und ihn nicht zu sehr abzuschrecken. In Bad Säckingen verlieren wir uns wieder aus den Augen.

Eine Minute Stille

Ab Waldshut-Tiengen biegt die Route vom Rhein ab, ab hier geht es der Wutach entlang. Das erste Mal über den Fluss geht es über eine Holzbrücke, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Sie sieht eigentlich nicht so spektakulär aus, aber trotzdem ist genau sie immer wieder in meinen Gedanken aufgetaucht, wenn ich an die ersten Kilometer der BTG gedacht habe. Die letzten Wochen habe ich mir dann vorgenommen, genau auf dieser Brücke eine Minute Pause zu machen, inne zu halten, Gott für all das zu danken, was in den letzten Monaten passiert ist. Eine Minute sollte drin sein, komme ich halt eine Minute später auf Rügen an.

Als ich die Brücke erreiche, herrscht großes Chaos. Direkt nebenan steigt gerade ein riesiges Schützenfest. Hunderte Männer in Schützenuniformen kommen aus einem großen Festzelt. Außerdem überholt mich gerade Jonathan Lamp. Er sucht Wasser, das könnte ich auch gut gebrauchen. Wir stürzen uns also gemeinsam in das Festzelt, finden ein Klo und stellen uns hinter zehn Schützen am Waschbecken an.

Wenig später betrete ich die Brücke. Mit mir stehen noch zwei Jüngschützen auf ihr. Ich schaue zur Wutach runter, versuche mich zu fokussieren. Jetzt bin ich tatsächlich hier, habe tausend Gründe, um dankbar zu sein. Danke! Ich bete kurz, keine Minute, es zieht mich weiter. Und die Jungschützen schauen komisch. Also weiter.

Die Teufelsküche

Die sogenannte Teufelsküche ist eine erste Herausforderung für Fahrrad und besonders Fahrer. Man muss sein Rad durch eine kleine Schlucht und einen steilen Pfad hinauf tragen. Diejenigen, die mit schweren Stahlrädern und viel Gepäck unterwegs sind, sind hier arm dran. Ich schaue dem ganzen gelassen entgegen.

Als ich gerade die Schlucht betrete, sehe ich ein Gravelbike auf dem Boden liegen. Wo ist der Besitzer? Ein paar Schritte weiter sehe ich ihn. Achim filmt, wie ich mein Fahrrad durch die Schlucht trage. „Hätte ich das gewusst, wäre ich das Stück natürlich gefahren“, rufe ich ihm zu. „Und, wie viele hast Du schon gefilmt“, frage ich ihn, als ich neben ihm stehe. „20 werden‘s schon gewesen sein“, gibt er zur Antwort, „die schnellsten fünf oder sechs habe ich allerdings verpasst, die fahren ihr eigenes Ding.“ Achim ist kurz nach dem Start mit dem Auto von Basel hierhin gefahren und hat die ersten Fahrer trotzdem verpasst!

„25 Fahrer vor mir“, denke ich, als ich mein Fahrrad weiter hinauf trage. „Bin ich so langsam? Oder sind das alles Leute mit Gravelbikes, die auf dem ersten flachen Stück einfach besonders schnell vorankommen?“ So beginnt das Nachdenken und Grübeln. Immer wieder versuche ich meine Gedanken zu lösen, einfach zu fahren, im eigenen Tempo. „Eigenes Tempo fahren, egal was die anderen machen“, sage ich mir selber immer wieder vor.

Don’t be stupid

Nach der Teufelsküche geht‘s noch ein paar weitere Höhenmeter hinauf. Ganz oben mache ich einen ersten kurzen Stopp, um etwas zu essen. Ein paar Nüsse, ein paar Trockenfrüchte – das sollte reichen. Kurz, bevor ich fertig bin, überholt mich Pete, wir hatte uns zuvor schon mehrmals gegenseitig überholt. Schon witzig, da sind wir uns letztes Jahr immer wieder begegnet, und auch dieses Jahr ist genau er es auf den ersten hundert Kilometern, der ein ähnliches Tempo wie ich fährt.

Pete hat sich auf sein GPS-Gerät geschrieben: „Do what Shane says.“ Shane Little war einer der Teilnehmer vom letzten Jahr. Auf seinem Navi hatte er stehen: „Day 1-5: don‘t be stupid; day 6-10: don‘t be soft; day 11+: f*** it, drink beer.“ Pete will sich dieses Jahr also genau an diese Strategie halten: Die ersten Tage smart sein, um nicht alle Kräfte zu verheizen; ab etwa der Hälfte Zähne zusammen beißen; und zum Schluss… naja, Bier trinken. Scheint mir sinnvoll. Nur den dritten Teil der Strategie werde ich weglassen – nicht nur, weil ich den Jugendlichen, mit denen ich arbeite, versuche beizubringen, das F-Wort nicht zu benutzen, sondern auch, weil ich definitiv nicht länger als 11 Tage brauchen will. Aber Pete bestimmt auch nicht.

Von der Anhöhe geht‘s kurz runter und dann den ersten richtig langen und steilen Anstieg hinauf auf den Hohen Randen. Bald hole ich Pete wieder ein. Mit seinem Gravelbike hat er eine ziemlich hohe Übersetzung und kämpft am Berg. Aber ich bewundere den Typen ja sowieso, weil er schon 350 Kilometer in den Beinen hat. „Don‘t be stupid, Pete“, zwinkere ich ihm beim Vorbeifahren zu. „Nein, nein“, antwortet er, „90 Prozent.“

Bienenzüchter auf dem Hohen Randen

Am Hohen Randen anzukommen ist jedes Jahr eine besondere Freude. Immer, wenn die BTG stattfindet, feiert ein Bienenzüchterverein dort oben sein Jahresfest. Spätestens seit letztem Jahr sind die Züchter auf uns hungrige Radler eingestellt, sie organisieren bewusst die dreifache Menge an Essen und Getränken und verkaufen es für einen kleinen Preis.

Als ich bei der Bienenparty ankomme, bin ich zwar nicht sonderlich hungrig, mache aber trotzdem kurz Halt – das muss einfach sein. Einige Fahrer stürmen gerade wieder los, als ich ankomme, andere sitzen auf den Bierbänken und schieben sich Würstchen und Kuchen rein. Das habe ich auch vor: „Eine Wurst, ein Stück Kuchen und einen Kaffee bitte.“ Den Mann, der mich bedient, kenne ich noch vom letzten Jahr.

Und da ist ja auch wieder der Achim! Unglaublich, gerade noch in der Teufelsküche, jetzt auf dem Hohen Randen. Er erzählt, dass er sich mit dem Auto verfahren hätte und noch zwei Kilometer mit dem Rad durch den Wald gefahren sei, bis er bei den Bienenzüchtern angekommen ist. „Ich hab also auch etwas gearbeitet“, lacht er uns verschwitzten Bikepackern zu.

Ich erinnere mich, dass ich letztes Jahr völlig am Ende war, als ich hier ankam. Es war damals mindestens fünf Grad heißer und mir war auf dem langen Anstieg das Wasser ausgegangen. Jetzt geht‘s mir super. Gerade, als Pete ankommt, fahre ich wieder weiter. Das wird das letzte Mal sein, dass ich Pete begegne.

Die Schwäbische Alb

Bald erreiche ich Tuttlingen, 150 Kilometer sind geschafft. Letztes Jahr hat mich hier ein Freund am Streckenrand überrascht, ich habe Essen aufgetankt und mir dann kurz hinter der Stadt einen Ort zum Schlafen gesucht. Jetzt ist es erst früher Nachmittag. Ich will noch lange fahren, mache also nicht einmal Halt in Tuttlingen.

Gerade, als ich die Stadt hinter mir lasse, werde ich von Consti eingeholt. Den kenne ich noch gar nicht, er war mir gestern nicht aufgefallen. In jedem Fall legt er mir sehr nahe, in Tuttlingen Proviant zu kaufen, jetzt ginge es in die Schwäbische Alb, da gäbe es lange nichts. Ich sage ihm, dass ich die Strecke kenne. Auf den nächsten 100 Kilometern kommen noch so einige Restaurants. Und außerdem habe ich die Taschen noch voll mit Essen. Gut, Consti rauscht an mir vorbei, er wolle jetzt nochmal richtig Tempo machen. Wahnsinn, wie schnell der wegzieht!

Kurze Zeit später kommt mir eine Menschentraube entgegen, die auf einmal wie wild anfängt zu jubeln, als sie mich sehen. Genial! Die ersten Fans an der Strecke.

Beim Aufstieg hinter Tuttlingen überholt mich Michi Braun. Er ist super drauf, zeigt sich ganz begeistert darüber, dass es so eine Moutainbike-Strecke durch ganz Deutschland gibt. Er kommt aus den Alpen und freut sich deshalb besonders auf die Berge. „Wann geht‘s wohl los mit den steilen Anstiegen?“, fragt er mich. „Jetzt eigentlich“, gebe ich zur Antwort. „Die nächsten 200 Kilometer gibt‘s super steile An- und Abstiege am laufenden Band.“ Er scheint es gar nicht erwarten zu können, ich lasse ihn ziehen.

Magenkrämpfe

Ich habe mein erstes Tief – und das nicht, weil mich zwei überholen und ich die Schwäbische Alb vor mir habe, sondern hauptsächlich, weil sich mein Magen meldet. Vor und nach der Bienenparty hatte ich mir immer wieder einen Riegel oder sonst was Süßes reingeschoben. Ich weiß aus Erfahrung, dass man bei so hohen und langen Belastungen im Prinzip ständig essen muss, um nicht irgendwann in ein Hungerloch zu fallen. Am besten eignet sich dazu natürlich Zucker, weil der Körper diesen schnell umsetzen kann.

Das Problem ist nur, dass ich im Alltag fast komplett auf Zucker verzichte. Jetzt gebe ich mir die volle Dröhnung, esse und trinke alle möglichen süßen Sachen. Von null auf hundert sozusagen. Kein Wunder, dass sich da bald der Magen meldet. Aber was soll ich machen. Ich versuche, in regelmäßigen Abständen weiter kleine Mengen zu mir zu nehmen.

Bald geht es dann auch wieder besser, zumindest die Beine wollen wieder. Die ersten An- und Abstiege fallen recht einfach. Mein Ziel ist es, heute mindestens bis zum Checkpoint 1 zu gelangen, der liegt bei Kilometer 222.

Astronautennahrung

Es geht hauptsächlich auf Schotterwegen hinauf und hinab, das alles lässt sich recht einfach fahren. Die schwierigen Abschnitte kommen später. Schon bald habe ich 200 Kilometer hinter mir, da treffe ich auf Tilo Lier und Stefan Schmitt. Die beiden fahren zusammen, haben gerade bei einem Italiener Halt gemacht und einen Teller Spaghetti gegessen. Hm, klingt gut, sowas könnte ich jetzt auch gebrauchen. Wo wir gerade so über das Essen reden und mein Magen immer noch nicht ganz Ruhe gibt, frage ich Tilo, was eigentlich seine Essensstrategie ist. Ich weiß, dass die beiden erfahrene Rennradfahrer sind und schon viele Brevets gefahren sind. Deshalb haben sie bestimmt Ahnung und vielleicht noch einen guten Tipp für mich parat.

„Wir schwören auf Flüssignahrung“, kommt Tilo direkt auf den Punkt. „Maltodextrin heißt das Zeug. Das ist geschmacksneutraler, langkettiger Zucker, den man sich einfach ins Wasser mischt. Wenn du das regelmäßig trinkst, fällst du nie in ein Hungerloch. Zusätzlich trinken wir ab und zu eine kleine Flasche Fresubin. Das gibt man eigentlich bettlägerigen Menschen, die keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können. Da hast du in konzentrierter Form alles, was du brauchst. Astronautennahrung, könnte man sagen. Aber es funktioniert.“

Klingt genial, denke ich mir. Das ist vielleicht auch die Antwort auf meine Magenprobleme. Ich nehme mir vor, morgen bei einer Apotheke zu halten und nach diesen Wundermittel zu fragen.

zusammen mit Tilo Lier

Eine Pizza mit Migg

Ich fahre noch einige Kilometer zusammen mit Tilo und Stefan, bevor ich in einer kleinen Stadt Halt mache. Hier gibt‘s laut Google eine Pizzeria. Astronautennahrung hin oder her, zumindest heute abend brauche ich noch richtiges Essen im Magen.

Vor der Pizzeria lehnt schon ein Gravelbike mit BTG-Startschild, worauf „Migg“ steht. Migg? Ist mir bisher auch noch nicht über den Weg gefahren. Ich trete ein und sehe ihn direkt. Er hat einen Salat-, einen Nudelteller und vier Getränke vor sich stehen. Ich setze mich zu ihm. Das Restaurant ist voll, mir ahnt schon schlimmes: Womöglich muss ich eine Stunde oder noch länger auf mein Essen warten. Aber Migg hat wohl schon mit dem Kellner gesprochen, wir erhalten Sonderkonditionen. Nach zehn Minuten steht eine große Pizza vor mir. Ich schlinge sie noch schneller runter, mit jedem Bissen scheint es auch meinem Magen besser zu gehen. Wusst ich‘s doch, er wollte nur Pizza.

Während des Essens kann ich kurz einen Blick ins Web werfen. Wir sind auf Position 15, haben also schon einige hinter uns gelassen. Außerdem sehe ich, dass Sam und Sander aus dem Rennen ausgestiegen sind – Sam ist gestürtzt, sie mussten ins Krankenhaus. Wie schade! Die beiden waren so motiviert und viel besser vorbereitet, als letztes Jahr. Sie werden es wohl nächstes Jahr wieder versuchen.

Zusammen mit Migg breche ich wieder auf. Jetzt ist es nicht mehr weit zum ersten Checkpoint. Damit vor Augen und mit Essen im Magen fährt es sich jetzt besonders leicht.

vor der Pizzeria mit Migg

Checkpoint Nr. 1

Rund um den ersten Checkpoint warten die ersten anspruchsvollen Trails. Diese führen über Wurzeln und kantige Steine direkt am Albtrauf, also an einem mehrere hundert Metern tiefen Abhang, entlang. Eigentlich dürfen Fahrradfahrer hier gar nicht fahren, letztes Jahr wurde ich von einigen Wanderern wütend angesprochen, als ich dort lang gefahren bin. Jetzt ist es zwar schon spät, vermutlich werden keine Wanderer mehr unterwegs sein; trotzdem entscheide ich mich dazu, eine alternative Route zu nehmen, die zwar etwas länger ist, dafür aber einen Großteil der Trails umgeht. (Der BTG-Track weist drei solche alternativen Routen auf. Prinzipiell muss man immer auf der vorgegebenen Route bleiben. Nur im Falle der alternativen Routen darf man die vorgegebene Strecke verlassen.) Auf der alternativen Route rollt es hauptsächlich auf Schotter voran – gute Wahl!

Ich erreiche noch vor Sonnenuntergang den ersten Checkpoint – sehr gut, Tagesziel mehr als erreicht. Vom Checkpoint, einem Felsvorsprung, sieht man auf die Burg Hohenzollern. Als ich dort ankomme, befinden sich gerade etwa sieben andere Fahrer dort. Unter ihnen sind Linus, Michi, Daniel Hiestand und der Däne Torben Bartholin, etwas später erscheint auch Migg Scherrer (meine Pizzeria-Bekanntschaft). Linus macht das obligatorische Checkpoint-Foto von mir, dann ziehe ich schon weiter. Die anderen wirken alle recht müde, ich höre, wie sie auf der Karte nach einem Shelter, also einer Hütte im Wald suchen, in der sie übernachten können.

Im Dunkeln über Stock und Stein

Also auf, etwas Boden gut machen und zum ersten Mal in die Nacht fahren! Ich weiß, dass hinter dem Checkpoint ein kilometerlanger harter Trailabschnitt wartet, der höchte Konzentration fordert. Gut, wenn ich dieses Stück hinter mir habe, bevor die Sonne ganz unter gegangen ist.

Der Trail ist noch härter und länger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Aber mit meiner RockShox-Federgabel und den breiten Reifen kann ich ihn trotzdem gut meistern. Umso überraschter bin ich, als ich auf einmal Licht hinter mit wahrnehme. Migg! Dieser Typ ist echt Wahnsinn, mit seinem Gravelbike und seinen dünnen Reifen ist er schneller auf den Trails unterwegs, als ich. Ich lasse ihn vorbei.

Endlich zurück auf Schotter geht es steil bergab. In der Ferne sehe ich weitere Lichter hinter mir, wahrscheinlich die anderen vom Checkpoint. Die lasse ich jetzt nicht vorbei, auf der Abfahrt bin ich schnell unterwegs und kann etwas Boden gutmachen. Unten angekommen werde ich dann aber doch von jemanden eingeholt, nämlich von Torben. Der muss ordentlich schnell unterwegs sein auf Abfahrten, ist wohl ein geübter Mountainbiker.

Nächtliche Plauderei

Zusammen nehmen wir den nächsten Anstieg in Angriff, kaum unten angekommen geht es nämlich direkt wieder bergauf. Hier bin ich wieder schneller als Torben, auch Migg hole ich ein – ein weiterer Gravelbiker mit einer hohen Übersetzung. Bei dem steilen Anstieg kann er nicht mehr fahren, sondern muss schieben. Als ich aber auf gleicher Höhe bin, steige ich ebenfalls ab und fange an, etwas mit Migg zu plaudern. Ich möchte gerne mehr von ihm erfahren.

Migg fängt an zu erzählen. Vor zwei Wochen ist er bei einem anderen Rennen mitgefahren, der Navad 1000. Ein ziemlich hartes Mountainbike-Rennen durch die Schweiz, über 1000 Kilometer legt man da 30.000 Höhenmeter zurück, also noch um einiges mehr, als bei der BTG. Migg ist vierter geworden. Ich weiß, dass bei der Navad 1000 einige sehr gute Leute dabei sind, eine sehr gute Leistung also! Migg gesteht, dass ihm immer noch die Hände von dem Rennen schmerzen. Deshalb sei er jetzt mit dem Gravelbike unterwegs, die Navad habe er auf dem MTB zurückgelegt. Ich muss etwas lachen – um seine Hände zu schonen, nimmt man ja normalerweise nicht ein Gravelbike. Aber Migg wird schon wissen, was er macht.

Während wir den nächsten recht flachen Plateau-Abschnitt zurücklegen, erzählt Migg noch von vielen weiteren Reisen und Rennen, die er so in den letzten Jahren unternommen hat. Er hat also schon viel Erfahrung im Ausdauersport. Ich traue ihm einiges zu – wenn die Schmerzen ihn nicht stoppen.

Übernachtung am Sportplatz

Mit der Erwartung, dass Migg sowieso schneller unterwegs sein wird, als ich, lasse ich ihn im nächsten Dorf ziehen. Ich will mir Wasser suchen, danach einen Schlafplatz. Es ist bereits Mitternacht und ich habe mehr als 250 Kilometer geschafft, das soll reichen für heute. Torben schließt zu mir auf, er sucht auch Wasser und einen Schlafplatz. Im Dorfzentrum höre ich es plätschern, ich halte, Torben fährt weiter. Da ist ein Brunnen, super! Flaschen füllen und noch etwas weiter, wieder aus dem Dorf raus.

Ich sehe, dass es am Dorfrand eine Sportanlage gibt. Da wird sich bestimmt ein Dach finden, unter das ich mich legen kann. Genauso ist es. Neben dem Sportplatz gibt es ein Vereinsheim mit einer großen Terrasse. Auf dieser parke ich mein Rad. Gerade, als ich meine Isomatte ausbreite, fängt es an zu regnen. Ein besseres Timing könnte es wohl nicht geben!

Es ist bereits halb eins, ich will aber noch etwas essen, Zähne putzen, Sachen laden und ein paar Bilder auf Instagram und Facebook uploaden – das braucht Zeit. Erst um kurz nach eins liege ich im Biwaksack und schließe die Augen. Den Wecker stelle ich auf halb fünf. Die erste kurze Nacht steht bevor.

Zufrieden und noch keine Schmerzen

Vor dem Einschlafen geht mir nochmal der Tag durch den Kopf. Es hätte nicht besser laufen können. Die meiste Zeit hat die Fahrt einfach nur Spaß gemacht, es ging schnell voran und ich hatte einige interessante Begegnungen. Das Bike läuft super, die Navigation funktioniert, sogar mit den recht billigen China-Lampen komme ich ganz gut im Dunkeln voran. Auch körperlich geht es mir blendend – die Schmerzen, das weiß ich, werden erst in den nächsten Tagen einsetzen.

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3 Kommentare

Jochen Juli 21, 2019 - 00:50

Schöner Bericht, bin schon gespannt auf die weiteren Tage 🙂

Antwort
Velospektive Juli 22, 2019 - 22:38

Danke Jochen, die weiteren Berichte sind in Arbeit!

Antwort
Bikepacking Trans Germany 2019 - Tag Zwei - Velospektive Juli 28, 2020 - 11:08

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