Griechenland – ein Mitteleuropäer muss da wohl entweder an die Antike und an die ehemalige Weltmacht denken, oder aber an das moderne Griechenland, das durch die Wirtschaftskrise und den Flüchtlingsstrom in den Medien präsent ist. Beide Aspekte begegneten mir in geballter Form während meiner kurzen Radreise entlang der griechischen Küste.
Helfen im Flüchtlingsprojekt
In Thessaloniki konnte ich in den Räumen einer christlichen Gemeinde übernachten. Ich legte also wieder eine Pause ein und genoß den Luxus einer Dusche, Waschmaschine und sogar einer eigenen Küche. Zusätzlich bot sich mir die Gelegenheit, in einem Projekt mitzuhelfen, an dem sich die Gemeinde zusammen mit vielen anderen Gemeinden und Organisationen beteiligt:
Im Care Center Thessaloniki erhalten Flüchtlinge zweimal in der Woche etwas zum Essen, sie können ihre Kleidung waschen, Englisch und Griechisch lernen – wenn gerade ein Friseur als freiwilliger Helfer da ist, können sie sich sogar die Haare schneiden lassen. Da in der letzten Zeit bis zu 400 Personen pro Tag das Angebot wahrgenommen haben, mussten die Leiter es jedoch nur auf Familien begrenzen.
Als ich mittags im Care Center ankam, war ich zunächst überrascht, wie viele freiwillige Helfer es außer mir gab. Sie kommen aus verschiedenen Ländern und engagieren sich jeweils für einige Wochen oder sogar Monate in dem Projekt. Drei Ägypter helfen zum Beispiel beim Übersetzen, eine große Gruppe Amerikaner und Kanadier sind mit „Jungend mit einer Mission“ da.Nachdem sie mir kurz den Ablauf erklärt hatte, wies mir die Leiterin des Projektes meine Aufgabe zu: An der Tür stehen und denjenigen, die hinein dürfen – also Frauen und Familien – Eintritt gewähren, zusätzlich aber auch den einzelnen Männern erklären, dass das Projekt für sie im Moment leider nicht geöffnet ist. Das erwies sich als gar nicht so einfache Aufgabe, einige Männer versuchten sich nämlich anderen Familien anzuschließen und wurden kurzerhand zum Sohn, Onkel oder Großvater befreundeter Ehepaare.
Insgesamt war es eine sehr interessante Aufgabe und ich war froh, etwas Einblick in die Arbeit zu erhalten und mithelfen zu können. Es scheint mir, dass sich hier in Griechenland in den letzten Jahren geordnetes Chaos eingestellt hat. Die Griechen schaffen es irgendwie, mit dem Flüchtlingsstrom umzugehen. Und da weder der marode griechische Staat, noch die sich uneinige EU Geld zahlen können und wollen, sind es eben solche Organisationen wie das Care Center, die die Flüchtlinge versorgen.
Die Heilsarmee gibt‘s auch in Thessaloniki
Auf dem Rückweg vom Care Center hörte ich auf einmal christliche Musik. Ich drehte mich zu dem Gebäude, aus dem sie schallte und erblickte – die Heilsarmee. Die ist mir recht gut bekannt, ich habe nämlich die letzten Jahre als Jugendarbeiter mit und in ihr gearbeitet. Sofort trat ich ein, begrüßte die Leute überschwänglich und erklärte, warum ich so begeistert sei, die Heilsarmee hier anzutreffen. Anasthasia, die Leiterin – bei der Heilsarmee Offizierin genannt – war keinesfalls überrumpelt von meiner Begeisterung, sondern freute sich mit mir und schenkte mir Tee ein. Sofort habe ich mich heimisch gefühlt.
Die Heilsarmee in Thessaloniki führt einen Second-Hand-Laden (oder wie man es in der Schweiz nennt: Brockenstube). Wie immer bei der Heilsarmee geht es dabei aber nicht nur darum, gebrauchte Ware zu verkaufen, vielmehr ist der Laden Treffpunkt für Leute in materieller und sozialer Not. Dafür gibt es auch ein kleines Café, das an den Laden angeschlossen ist. Von Armut betroffene Griechen gibt es nämlich zu Hauf, wie man bei einem Gang durch die Stadt unschwer erkennen kann. Es ist schön, dass die Heilsarmee diese Leute neben all der notwendigen und guten Flüchtlingsarbeit, die andere christliche Werke tun, nicht aus den Augen verliert.
Amüsant und bemerkenswert finde ich folgendes: Da die Heilsarmee hier nur einen Raum mieten kann, wird jeden Sonntagmorgen das ganze Sortiment des Ladens zusammengepackt, um gemeinsam Gottesdienst feiern zu können. Wie viele Stunden Arbeit das wohl jeweils sein müssen! Natürlich ist das kein Idealzustand, aber trotzdem finde ich es toll: Da, wo unter der Woche die Leute ein und ausgehen, da wird am Sonntag Gottesdienst gefeiert. Näher kann man wohl kaum – zumindest räumlich – als christliche Gemeinde bei den Menschen sein.
Fahrradfahren – auf antiker Straße
Genau – Fahrradfahren – darum geht‘s ja eigentlich in diesem Blog. Das habe ich dann nach den vielen Erlebnisse und Begegnungen mal wieder gemacht. Eigentlich hatte ich Thessaloniki angesteuert, um von dort eine Fähre auf eine griechische Insel zu nehmen. Am Hafen erfuhr ich aber, dass der Fährbetrieb bis zum Frühjahr eingestellt ist. Ich müsste weiter nach Kavala, da würden noch Fähren fahren. Als schwang ich mich auf mein Rad und folgte der Küste gen Osten.
In Kavala angekommen löste ich ein Ticket für die Nachtfähre; ich hatte also den Tag über Zeit, um noch zum antiken Philippi zu radeln. Damit machte ich einen auf Paulus, der kam nämlich im Jahr 49 per Schiff in Neapolis (also dem heutigen Kavala) an und betrat damit zum ersten Mal den europäischen Kontinent. Von Neapolis reiste er direkt nach Philippi – allerdings nicht mit dem Fahrrad, sondern vermutlich zu Fuß. Dabei hat er bestimmt die Via Egnatia benutzt, das war nämlich die Hauptverkehrsstraße der damaligen Zeit.
Ich wollte diese Straße unbedingt sehen – es gibt noch ein paar Überreste von ihr – und zumindest für einen kurzen Abschnitt mit meinem Fahrrad auf ihr fahren. Sie zu finden war schon schwer genug, aber auf ihr zu fahren? – fast unmöglich, ein einziges Geholper! Aber gut, die römischen Konstrukteure konnten ja nicht ahnen, dass jemand mal versuchen würde, ihre Straße mit solch einem eigenartigen Gerät auf zwei Rädern zu befahren.
Alter Brief – bleibende Relevanz
Ich bog recht bald wieder auf die moderne Straße ab, freute mich über den Asphalt und war blitzschnell in Philippi. Hier gibt es noch recht viele Überreste zu sehen, da auf dem Fundament Philippis keine neue Stadt errichtet wurde. Ich kannte den Ort bereits von einer Studienreise vor zwei Jahren, mit dem Fahrrad hier zu sein, war aber doch nochmal etwas ganz anderes. Ich nahm mir Zeit, spazierte zwischen den Überresten einer Basilika, der Agora und des Forums und las den Brief, den Paulus später an die Gemeinde in Philippi geschrieben hatte.
Was für ein spezielles Gefühl! Da lese ich beispielsweise, wie Paulus schreibt: „Freut euch im Herrn! Und ich sage es noch einmal: Freut euch!“, und stelle mir vor, wie die Philipper an dem Ort, wo ich gerade stehe, das gleiche gelesen, darüber nachgedacht und diskutiert haben. Auch wird mir klar, dass die Stadt um mich herum zwar seit hunderten von Jahren verlassen ist, die Menschen, an die sich Paulus gerichtet hat, lange begraben sind, sein Brief aber noch heute die gleiche Relevanz wie damals hat. Paulus würde heute wohl andere Vergleiche wählen, die Botschaft bleibt aber die gleiche.
Mir kommen die Flüchtlinge aus Thessaloniki und die vielen Griechen, die unter der Krise leiden, in den Sinn. Ich wünschte, sie würden alle diese alte, aber doch die Zeiten überdauernde Botschaft neu entdecken: Es gibt einen Grund zur Freude, der über die materiellen und zeitlichen Nöte, die wir in dieser Welt erleben, hinausreicht.
2 Kommentare
Parabéns, meu amigo e irmão! Admiro sua garra, coragem e persistência. Deus te abençoe hoje onde você estiver e onde você for.
Muchas Gracis amigo, saludos y bênção a Basel!