Die andere Seite der Insel – Fahrradfahren an der Westküste Zyperns

by Benni

Seit einigen Tagen fahre ich wieder Fahrrad. Zur Abwechslung habe ich keinen Ort im Blick, den ich erreichen und an dem ich mich mehrere Tage aufhalten will. Nach den vielen Wochen im Nahen Osten, in denen das Fahrradfahren eher eine Beschäftigung zwischen längeren Aufenthalten an festen Orten war, fühlt sich das fast ungewohnt an. Doch die vergangen Tage hatten schon so viel Herausforderung und Abwechslung zu bieten, sodass ich bereits in den Reisealltag zurückgekehrt bin.

Gute Zeiten in Israel

Vor dem Aufbruch stand allerdings noch Besuch von meiner Mutter und ihrem Mann an. Zusammen verbrachten wir sechs Tage im grünen Norden des Landes und danach vier weitere Tage in Jerusalem. Nach meinen Radtouren durch das Land fühlte ich mich wie ein gut vorbereiteter Reiseführer. Ich konnte ihnen nicht nur schöne Ecken zeigen, die auf den typischen Bustouren durch Israel meist links liegen gelassen werden, sondern zudem einige Menschen vorstellen, die ich auf meiner Reise kennengelernt hatte.

Ein kurzer Zwischenstopp bei den Schwaben in Zichron Ya’akov gehörte natürlich auch dazu. In ihrer Gemeinschaft verbrachte ich zudem einige Tage vor und nach dem Besuch aus Deutschland. Ich war froh, dass sie mich erneut herzlich aufnahmen und mir auch eine sinnvolle Beschäftigung gaben: In ihrer Privatschule herrscht Lehrermangel. So unterrichtete ich in den Klassen fünf bis acht alle möglichen Fächer. Dass ich eines Tages in Israel Mathematik und Biologie unterrichten würde, ist eines dieser Dinge, die ich nun wirklich nicht erwartet hätte, als ich im September aus der Schweiz aufgebrochen bin.

Das Land zu verlassen, ist gar nicht so einfach

Am 26. März war es dann soweit, auch von den Menschen in Zichron Abschied zu nehmen. Ich hatte einen Flug von Tel Aviv nach Zypern gebucht. Wie auch schon in Amman viel der Abschied sehr schwer. Zusätzlich hatte sich gerade in den Tagen vor meinem Abflug die Sicherheitslage im Land verschärft, aus dem Gazastreifen wurden einige Raketen auf Israel abgefeuert, Israel antwortete mit Bombadierungen von Hamas-Stützpunkten. Auf dem Weg zum Flughafen kam ich an vielen Lastern vorbei, die Panzer in den Süden transportierten.

So stand ich da am Flughafen Ben Gurion und war noch ganz in Gedanken bei den Menschen in Zichron und den nicht enden wollenden Konflikten in diesem Land, als ich von etwas ganz anderem abgelenkt wurde: Dem Sicherheitscheck. Natürlich war ich darauf eingestellt und knapp drei Stunden vor Abflug vor Ort. Außerdem war ich ja erst vor kurzem von Jordanien nach Israel gereist. Die Untersuchung, die die Grenzbeamten dort vornahmen, muss ich im Nachhinein allerdings als Kleinigkeit gegenüber dem bewerten, was mich jetzt erwartete.

Nach einem ersten Interview mit den typischen Fragen („Was haben sie so lange in Jordanien gemacht? Haben sie dort neue Freundschaften geschlossen? Stehen sie immer noch mit diesen in Kontakt?…) musste ich in einem separaten Raum den Fahrrad-Karton öffnen. Mehrere Beamte machten sich daran, akrbisch jede Tasche und jedes Einzelteil des Rades zu durchleuchten. Sogar die Ersatzspeichen im Sattelrohr und der Forumslader im Steuerrohr blieben nicht unentdeckt. Ich musste genauestens erläutern, wieso ich sie dort „versteckt“ hatte. Diese Untersuchung dauerte schon über eine Stunde, sodass ich die Chancen, meinen Flug zu erreichen, schwinden sah.

Es folgte die Untersuchung meines Handgepäcks. Um das vorgegebene Gewicht des aufgegeben Gepäcks nicht zu überschreiten, hatte ich alle möglichen seltsamen Dinge, die man als Radreisender eben so dabei hat, ins Handgepäck gepackt. So zog ich wieder die volle Aufmerksamkeit auf mich. Erneut sammelten sich mehrere Beamten um mich und meine Habseligkeiten, erneut wurde ich von verschiedenen Leuten interviewt, jedes einzelne Teil meins Gepäcks nach Sprengstoff und Drogen untersucht. Praktischerweise funktionierte dann auch noch der Bodyscanner nicht, sodass ich von einem geduldigen Beamten, den nichts in der Welt zu stressen schien, nach metallischen Gegenständen durchsucht.

Zumindst hatte ich währenddessen genügend Zeit, um mir Gedanken zu machen: Was mache ich, wenn ich den Flug verpasse? Zurück nach Zichron? Einen neuen Flug buchen? Doch tatsächlich schaffte ich es mit dem allerletzen Aufruf zum Boarding in den Flieger. Puh, was für nervenaufreibende drei Stunden Sicherheitskontrolle!

Zurück auf Zypern

Als ich abends am Flughafen in Paphos lande, bin ich einfach nur dankbar: Dankbar, dass ich es tatsächlich hierhin geschafft habe, dankbar, dass auch mein komplettes Gepäck dabei ist und dankbar ganz allgemein für all die Erlebnisse und Begegnungen, die ich seit dem Verlassen der Insel Ende November haben durfte. Ich baue mit dieser inneren Dankbarkeit und in aller Seelenruhe mein Fahrrad wieder zusammen und verlasse das Flughafengebäude mitten in der Nacht, um mich für ein paar Stunden an einem einsamen Platz neben dem Gebäude hinzulegen. Ich bin gerade dabei, meine Isomatte auszupacken, als ich schon von einem Polizeiwagen und zwei Soldaten umzingelt bin. Doch auch das kann mich nicht mehr aus der Ruhe bringen. Ich zeige ihnen meinen Reisepass und erzähle ihnen von meiner Reise. Schnell sind sie überzeugt, dass ich nichts böses im Schilde führe. Leider darf ich trotzdem nicht hier draußen übernachten, sondern muss in dem hellen und geschäftigen Gebäude Schlaf suchen. Aber was soll’s – ich bin hier, auch ein wenig Schlafmangel kann mir meine Dankbarkeit nicht nehmen.

Am nächsten Morgen starte ich früh mit nur einem Ziel. Nein, liebe Leser, es ist nicht der Strand, auf den ich mich am meisten freue; auch das Kloster, das ich im November besucht hatte, muss ich nicht unbedingt nochmal sehen. Nein, seit Wochen hatte ich mich auf eine Sache ganz besonders gefreut: Den Lidl. Als ich um acht Uhr morgens den Lidl in Paphos betrete, fühlt es sich ein wenig an, als ob ich die deutsche Heimat betreten würde. Als ich dann noch zu deutschen Produkten greife, ist mein Glück perfekt.

Mit vollen Taschen mache ich mich auf. Im November hatte ich keinen großen Sinn dafür, die Insel zu entdecken, sie diente mir nur als Sprungbrett nach Israel. Jetzt bin ich viel offener, die Insel und ihre verschiedenen Facetten kennenzulernen. Mein Plan sieht vor, drei Tage der Westküste zu folgen und nach Kyrenia (auf Türkisch Girne) zu gelangen, um von dort die mir bereits bekannte Fähre zurück in die Türkei zu nehmen.

Eine idyllische Grenze

Das Wetter spielt mit, die grüne Küste zeigte sich von ihrer schönsten Seite. Zusätzlich sind viele Küstenstreifen auf Zypern unbebaut, den ersten Abend kann ich mein Zelt direkt am Strand aufschlagen. Am nächsten Morgen erreiche ich schon bald die Grenze nach Nordzypern. Von welcher idyllischen Seite sich auch diese präsentiert! Zwischen grünen Hügeln, bunten Blumenfeldern und ein paar Nadelhölzern kann ich ab und zu einen Militärposten sehen. Zudem trifft man auf beiden Seiten auf viele Soldaten; UNO-Blauhelmsoldaten verwalten zusätzlich die Pufferzone zwischen dem türkischen und griechischen Teil der Insel. Abgesehen davon passiere ich aber fast unbewusst die Grenze in den Norden. Die Grenzbeamten werfen einen kurzen Blick in meinen Reisepass, mein Fahrrad wird keines Blickes gewürdigt – und schon bin ich in Nordzypern. Wären doch nur alle Grenzüberschreitungen so einfach!

Die Menschen, Häuser und Autos unterscheiden sich dafür deutlich. Kurz nach Grenzübertritt fahre ich in das erste Dorf und werde sofort aufmerksam beäugt; die Preise sind viel niedriger, die Häuser einfacher und die Autos älter. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Europäischen Union bin ich also wieder im asiatischen Teil dieser Erde angekommen.

Ein Finne auf Nordzypern

Kurz vor Sonnenuntergang komme ich an einem verlassenen Haus an der Küste vorbei – ein perfekter Ort zum Übernachten! Mit diesem Gedanken bin ich offensichtlich nicht alleine, in dem Haus steht bereits ein großer, blonder Mann, der damit beschäftigt ist, den Boden von Glas zu säubern, um sein Zelt aufschlagen zu können. Ich frage ihn, ob ich im Zimmer nebenan mein Zelt aufstellen könnte. „Kein Problem“, gibt Timo zur Antwort.

Wie schön es ist, immer mal wieder auf andere Reisende zu treffen: Man ist sofort auf einer Wellenlänge, teilt Essen und Erfahrungen aus und genießt es, zur Abwechslung Abende in Gesellschaft verbringen zu können. Timo stammt aus Finnland und reist seit sechs Jahren mit längeren Unterbrechungen und auf unterschiedlichste Weise um die Welt. Seit zwei Tagen ist er mit Rucksack auf Zypern unterwegs, wo er mindestens noch zwei Wochen bleiben möchte.

Die Nacht wird für uns beide eine unruhige. Offenstichtlich ist das verlassene Haus mit dem schönen Blick aufs Meer nicht nur bei deutschen und finnischen Reisenden beliebt, sondern auch bei der Jugend aus dem benachbarten Dorf. Im Abstand von etwa einer Stunde erscheint regelmäßig eine neue Gruppe in dem Haus, leuchtet unsere Zelte ab und zieht sich dann überrascht zurück. Timo berichtet mir am nächsten Morgen, dass eine Gruppe wild an seinem Zelt gerüttelt habe. Davon hatte ich allerdings gar nichts mitbekommen.

Auch auf Zypern gibt’s Schlamm

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns, Timo möchte weiter in den Bergen wandern, während ich die Nachtfähre in die Türkei anziele. Für die letzten 50 Kilometer nutze ich dazu eine Straße, die für den Autoverkehr wegen Straßenschäden gesperrt ist. Perfekt, denke ich mir, endlich wieder ein paar Stunden Radfahren ohne von Autos überholt zu werden.

Die ersten Kilometer bestätigt sich meine Hoffnung, der Weg führt mich durch einsame Hügel. Bald verwandelt sich die einsame Straße jedoch in eine Matschpiste. Ich hatte gehört, dass es diesen Winter so viel wie seit 50 Jahren nicht mehr auf Zypern geregnet hätte. Hier kann ich nun die Auswirkungen spüren. Bald verfängt sich so viel Schlamm in meinem Rad, dass ich es nur noch tragen kann.

Dieser Matsch! In Israel hatte ich ihn bereits als meinen größten Feind ausgemacht und mir geschworen, mich nie wieder in ihm zu verfangen; doch schon auf Zypern gerate ich erneut in seine Fänge. Ich kämpfe mich stundenlang langsam voran, bis ich wieder Asphalt sehe. Mein noch heute Morgen fein geputztes Fahrrad und meine Kleidung sehen so aus, als hätte ich eine mehrwöchige Himalaya-Expedition hinter mir.

Ein Rumäne auf der Fähre

Am frühen Abend erreiche ich den Hafen und nehme mir vor, mich und mein Fahrrad gründlich zu waschen, bevor ich mich unter das Fährvolk mische. Aber nichts da, die Fähre legt heute früher ab, da ein Sturm aufzieht. Verschlammt betrete ich also die Fähre. Zusätzlich kommen neue Sorgen auf: Wenn die Fähre am abend ablegt, wird sie mitten in der Nacht in der Türkei anlegen. Werde ich einen Ort zum Schlafen finden?

Meine Sorgen lösen sich aber bald in Luft auf, als ich einen anderen, ähnlich dreckigen Radfahrer unter dem Fahrgästen erspähe: George aus Rumänien ist ein wahrer Fahrradreise-Veteran; seit Jahren unternimmt er große Touren innerhalb und außerhalb Europas. Gerade hat er zwei Monate Radfahren auf Zypern hinter sich. Natürlich schließen wir uns zusammen, meistern gemeinsam die Grenzkontrollen und finden einen kleinen, leeren Raum neben der Abfertigungshallte, in dem wir uns um vier Uhr nachts hinlegen.

Am nächsten Tag – also heute – regnet und stürmt es ununterbrochen, sodass wir den Tag gemeinsam in der Hafenstadt Taşucu verbringen und erneut viele Erfahrungen und Erlebnisse austauschen. Morgen werde ich der Küste Richtung Mersin folgen, von wo ich gen Norden in die Berge abbiegen möchte. George möchte morgen dem Wind folgen: Bläst er nach Westen, fährt er nach Westen, bläst er nach Osten, folgt er mir nach Osten. Ich hoffe auf guten Wind und darauf, in dem nächsten Reisebericht aus der Türkei über gemeinsame Kilometer mit George berichten zu können.

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