Durch wilde Wadis und auf einsamen Straßen durch die Negev-Wüste

by Benni

Wem war ich nicht alles begegnet während der ersten zwei Wochen in Israel, wo hatte ich nicht überall einen Zwischenstopp eingelegt! Jetzt war ich bereit für die Wüste, für Tage der Einsamkeit und der Reflexion – und endlich mal wieder einige Kilometer auf dem Rad zu machen.

Israel – das fast perfekte Radreiseland

Nachdem es die letzten Tage nicht mehr geregnet hat, kann ich wieder der Bikepacking Route folgen. Ab Jerusalem geht’s also – sagen wir mal auf nicht allzu direktem Weg – zum südlichsten Punkt des Landes, nämlich nach Eilat am Roten Meer. Dazwischen, also zwischen Jerusalem und Eilat, liegt die Negev-Wüste, auf ausgiebiges Radfahren durch diese Einöde hatte ich mich schon lange gefreut.

Zuvor geht’s aber noch einige Kilometer durch überraschend grünes Land. So grün hatte ich es mir hier, südlich von Jerusalem, wirklich nicht vorgestellt. Und auch nicht so bergig! Die Route führt mich geschickt abseits der großen Straßen durch wunderschöne Nationalparks und über so manchen steilen Anstieg. Sie folgt dabei zu einem großen Teil dem Israel National Trail, einem Wanderweg, der durch das ganze Land führt und besonders gerne von Israelis abgewandert wird, die gerade ihren Militärdienst abgeleistet haben.

Die Bedingungen könnten nicht besser sein. Das kostenlose Kartenmaterial aus dem Internet ist detailliert und deckt sich selbst im letzten Winkel des Landes zu hundert Prozent mit den Pfaden, die ich vorfinde; die Wege sind zusätzlich sehr gut markiert; immer wieder komme ich an Picknickplätzen vorbei, wo es teilweise sogar Mülleimer und Wasser gibt und ich gerne mein Zelte aufschlage; und zu guter Letzt ist die Landschaft ein Traum! Wenn die Lebenshaltungskosten in Israel nur nicht so hoch wären, würde ich dieses Land glatt zum perfekten Radreiseland deklarieren.

Bikepacking im Wadi

Nach den grünen Nationalparks geht’s auf einmal über 1000 Meter bergab. Nicht, dass ich auf einem solch hohen Berg gewesen wäre, vielmehr geht es zum Toten Meer hinunter, das mehr als 400 Meter unterhalb des Meeresspiegels liegt. Die Fahrt und der Blick hinab zum Grabenbruch sind beeindruckend. Beeindruckend ist aber auch der plötzliche Vegetationswechsel: Habe ich am Morgen noch unter dem Schatten grüner Bäume gezeltet, so bin ich jetzt in der Wüste angekommen.

Am nächsten Tag folge ich dann verschiedenen Wadis zurück ins Inland und in höhere Lagen. Wadis sind nichts anderes als Flusstäler. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass es in diesen Flusstälern keinen Fluss gibt – also zumindest die meiste Zeit nicht. Durch Regenfälle können sie sich jedoch plötzlich mit Wasser füllen, dann sollte man sich schnellstens in höhere Lagen begeben, um nicht von den Wassermassen mitgerissen zu werden. Übrigens können auch weit entfernte Gewitter ein Wadi füllen. Es ist also gut möglich, dass man bei blauem Himmel und strahlender Sonne das Wadi betritt und es sich trotzdem plötzlich mit Wasser füllt.

Ich bin allerdings gut gerüstet, die Deutschen in Zichron haben mir wohlweislich schon den Link zu einer Homepage gegeben, die Flutprognosen für das ganze Land anzeigt. Dort gibt’s grad keine Warnungen, ich befahre also gelassen das erste Wadi. Was ich die nächsten Kilometer und Stunden sehe, das übertrifft alles, was ich bisher auf meiner Reise gesehen habe: Die Wadis schlängeln sich in unzähligen Krümmungen durch die sandigen Felsen, hinter jedem Felsvorsprung erwartet mich ein neues Panorama, steile Klippen und Felsformationen. Ich komme auch an mehreren Autowracks vorbei, die wohl aus einer Zeit vor den digitalen Flutwarnungen stammen.

So beeindruckend die Wadis sind, so herausfordernd ist auch die Fahrt durch sie. Die Wassermassen hatten offensichtlich nicht die Intentionen, ebene Radwege zu formen. Vielmehr kämpfe ich mich durch nicht enden wollende Steinfelder und über Felsvorsprünge. Eigentlich, so denke ich mir, sieht hier alles so einzigartig schön aus, dass ich von jeder Windung neu ein Foto schießen müsste. Irgendwann bin ich allerdings so geschafft, dass ich die Kamera nicht mehr anrühre. Mal wieder geben die Bilder also nur einen kleinen Einblick in die Welt, die ich hier bereisen darf.

Die Einsamkeit der Wüstenstraße

Nach den Wadis folge ich dann mal wieder einer asphaltierten Straße. Wie schnell man hierauf vorankommt, wie viel weniger man auf solch einer Straße aber auch von der Vielfalt der Wüste sieht! Das finde ich nach den Eindrücken in den Wadis aber auch gar nicht schlimm. Anstatt mit dem Erklimmen von Felsen beschäftigt zu sein, komme ich jetzt, auf den einsamen Straßen und in der Weite der Wüste, umso mehr zum Nachdenken. Es ist schon beeindruckend, wie sehr die äußere Umgebung doch die inneren Gedanken beeinflusst. Die Einsamkeit und Einöde der Wüste bietet wenig Ablenkung und zwingt mich regelrecht dazu, alle möglichen Dinge in Gedanken zu bearbeiten.

Meine Gedanken schweifen zum einen nach Hause. Ich denke an meine Familie und Freunde im fernen Deutschland und der Schweiz, die sich jetzt vermutlich im kollektiven „Weihnachtsstress“ befinden. Beim Gedanken daran scheint mir mein Radfahren durch die einsame Wüste nur umso attraktiver. Wie frei und ungebunden ich hier auf meinem Fahrrad in der Negev-Wüste doch bin! Doch dann gesellt sich auf einmal Sehnsucht und Wehmut dazu. Wie gerne wäre ich jetzt bei Familie und Freunden! Wie schön wäre es, Gedanken und Erlebnisse teilen zu können! Die Einsamkeit der Wüste scheinen diese Gefühle nur zu verstärken, Freude und Euphorie wechseln sich im Minutentakt gegen Heimweh und Seelenschmerz ab, während eine nach der anderen öden Düne an mir vorbeizieht.

Zum anderen schwirrt mir aber auch das, was ich vor der Wüste erlebt und gesehen habe, im Kopf herum. Bevor ich von Jerusalem aufgebrochen bin, habe ich fünf Tage dort und im benachbarten Bethlehem verbracht.

Rückblick: Jerusalem und Bethlehem

In Bethlehem bin ich mal wieder reich beschenkt: Ich kann bei der Tante von Simon übernachten, bei dessen Familie ich schon in Haifa zu Gast war. Ich verbringe also kurz vor Weihnachten fünf Tage in der Stadt, in dem Jesus zur Welt kam. Jeden Tag fahre ich nach Jerusalem, um die Stadt ausgiebig zu erkunden. Dabei passiere ich an der Seite vieler Palästinenser den Checkpoint nach Israel, da Bethlehem auf dem Gebiet des Westjordanlandes und hinter einer sieben Meter hohen Mauer liegt. Viele der Palästinenser legen diesen Weg jeden Tag zurück, da sie in Bethlehem wohnen und in Jerusalem arbeiten.

In der Altstadt von Jerusalem verbringe ich so manche Stunde. Ich schlender durch die engen Gassen des muslimischen, jüdischen, christlichen und armenischen Viertels, wohne dem geschäftigen Treiben an der Klagemauer und auf dem Tempelberg bei und beobachte die vielen zielbewussten Pilgergruppen. Wie schon vor zweieinhalb Jahren, als ich Jerusalem im Zuge einer Studienreise kennen lernen konnte, bin ich erneut beeindruckt: In dieser Stadt bündelt sich auf engstem Raum so viel Geschichte, Kultur und Religion.

Auch für Yad Vashem nehme ich mir viel Zeit. Ich verbringe einen ganzen Tag auf diesem Hügel, auf dem mit diversen Ausstellungen und Mahnmalen dem Völkermord an den Juden gedacht wird. Natürlich kenne ich die Geschichte und viele Details seit früher Schulzeit, trotzdem macht mich die erneute Konfrontation damit demütig. Ich muss ich an die letzten Wochen und meine Reise durch das moderne Israel denken. Mit dem Blick in die Geschichte dieses Volkes freue ich mich umso mehr zu sehen, wie dieses Land gedeiht und seine Bewohner in (relativer) Sicherheit leben können.

Die Menschen auf der anderen Seite der Mauer

Auch für Bethlehem nehme ich mir Zeit. Die „Attraktionen“ sind allerdings schnell besucht. Es reizt mich auch nicht besonders, viel Zeit an Orten wie der Geburtskirche zu verbringen, wo Menschen geschäftig Tücher, Ketten und Ikonen auf die vermeintliche Geburtsstelle Jesu legen.

Vielmehr versuche ich, mit Menschen auf der anderen Seite der Mauer in Kontakt zu treten. Dazu besuche ich unter anderem die Farm Tent of Nations, die sich etwas außerhalb von Bethlehem befindet. Zunächst helfe ich einige Stunden beim Schneiden von Olivenbäumen, anschließend esse ich mit den Brüdern Daher und Daoud Nassar zu Mittag. Ihre Worte nehmen mich von Anfang an gefangen.

Ihr Großvater hatte 1916 das Land gekauft und registriert – eine Seltenheit zu der damaligen Zeit, da man die Steuern umgehen wollte. Durch diese Registrierung konnten sie jedoch einwandfrei nachweisen, dass sie das Land tatsächlich besitzen. Als 1991 dann ihr Land zum israelischen Staatsgebiet erklärt wurde, waren die Behörden ganz überrascht, als Daoud ihnen Papiere vorlegte. Es folgte ein Gerichtsprozess, der bis heute andauert und die Nassars 200.000 Dollar gekostet hat.

In der Zwischenzeit sind immer wieder israelische Siedler auf der Farm erschienen, haben die Familie mit Maschinengewehren bedroht, Bäume zerstört und Hunde erschossen. Eines Nachts ist das Militär mit Bulldozern aufgefahren und hat alle Aprikosenbäume zerstört, die kurz vor der Ernte standen. Seit einigen Jahren liegen Abrissgenehmigungen für jegliche Bauten auf ihrem Grundstück vor, sie dürfen keine neuen Gebäude bauen und erhalten keinen Zugang zu Strom oder Wasser.

„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

Hier geschieht offensichtlich Unrecht, das kann man kaum bestreiten. Ich beschreibe diese Beobachtung allerdings nicht, um mich auf eine „Seite“ zu stellen und zusätzlich Öl in das schon so heiß brennende Feuer zu gießen. Vielmehr scheint mir die Beschreibung der Reaktion und Einstellung der Nassar-Familie heilsam:

Daoud erzählt mir ganz sachlich und klar, dass Menschen, die solch ein Unrecht erleben, gewöhnlich auf drei verschiedene Arten reagieren. Sie greifen zur Waffe, resignieren oder verlassen das Land. Für sie, die Nassars, käme jedoch keine der drei Optionen in Frage. Sie hätten sich entschieden, auf produktive Weise zu reagieren und als Christen das Gebot der Nächsten- und Feindesliebe Ernst zu nehmen. So versuchen sie, aus der Not eine Tugend zu machen, pflanzen Bäume, produzieren mit Solaranlagen Strom und bereiten das Regenwasser auf. Zusätzlich veranstalten sie regelmäßig Feriencamps, Workshops und Fortbildungen. Damit wollen sie Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zusammen bringen und „Brücken bauen“, wie sie es selbst nennen.

Ich bin beeindruckt von dem, was über die Jahre hier entstanden ist und von dieser Familie, die unter schwierigsten Umständen versucht, ein Licht auf ihrem eigenen Hügel zu sein. Am Ausgang ihres Grundstückes steht ein Stein, auf dem ihr Motto geschrieben ist: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Das ist eine kontroverse Aussage, impliziert sie doch, dass andere sie zu Feinden machen wollen. Doch soweit ich es beurteilen kann, ist die Aussage für ihre Situation angemessen.

Frohe Weihnachten aus Israel!

Das Grübeln über die Konflikte in diesem Land hat mich die letzten Tage in der Einsamkeit der Wüste beschäftigt. Jetzt, in der Sonne Eilats und an der Küste des Roten Meeres, teile ich meine Gedanken gerne mit Euch. Ich sende Euch Weihnachtsgrüße in das ferne Europa. Ich hoffe, dass Ihr im Kreise Eurer Familie und Freunde Zeit dazu findet, Vergebung und Nächstenliebe auszuleben. Die Geburt dieses Jesus von Nazareth in Bethlehem hat dazu alle Grundlage gelegt.

Euch ist heute der Retter geboren, es ist Christus, der Herr.

Lukas 2,11

Hier gibt’s mehr Fotos.
Bald erscheint hier ein Video von meiner Reise durch Israel.

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3 Kommentare

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