Zwischen Einsamkeit und Geselligkeit

by Benni

Umgeben von vielen Menschen zu sein und stundenlang auf keinen Menschen zu treffen – das ist ein Kontrast, den man während einer Fahrradreise sehr häufig durchlebt. Während meiner Reise durch den Kosovo, Mazedonien und Griechenland wechselte sich beides innerhalb kürzester Zeit ab.

Viele Begegnungen im Kosovo

Der Kosovo zählt auf jeden Fall zu jenen Gegenden, in denen man von vielen Menschen umgeben ist. Selbst, als ich mich außerhalb der Städte bewegte, kam ich immer wieder mit Kosovaren in Kontakt. Andauernd rief mir jemand vom Straßenrand oder aus dem Auto etwas zu – und zwar fast nie auf Englisch, sondern auf Deutsch. Gefühlt die Hälfte des Landes hat nämlich für einige Jahre in Deutschland oder der Schweiz gelebt. Am laufenden Band wurde ich gefragt, wo ich her käme, wo ich hin wolle und wie es mich in den Kosovo verschlagen hätte. Man merkt den Leuten an, dass sie sich freuen, wenn jemand ihr Land besucht und sie dieses repräsentieren können.

Von der Gastfreundschaft hatte ich bereits berichtet (siehe hier). Diese setzte sich fort, nachdem ich Gjakova und meine Gastgeber verließ. Mit gewaschener Kleidung in den Taschen und noch gut gesättigt nach drei Tagen „Vollpension“ war ich bereit, mal wieder im Zelt zu übernachten und nur wenig Essen aus dem Supermarkt zu mir zu nehmen. Ich steuerte ein Dorf an, fand eine Wiese und fragte eine Frau, die gerade mit einer Schubkarre vorbeiging, ob ich hier wohl zelten könnte. Sie rief kurz ihren Sohn an, der gab das Okay – einer ruhigen letzten Nacht im Kosovo stand also nichts mehr im Wege.

Und schon wieder… Gastfreundschaft

Aber da hatte ich die Rechnung ohne die Gastfreundschaft der Kosovaren gemacht. Der Sohn kam kurze Zeit später von der Arbeit, schnappte sich mein Fahrrad (ich konnte gar nicht widersprechen) und trug es in sein Haus. Ich dürfte auf keinen Fall da draußen in der Kälte übernachten! Um sich verständlicher zu machen (er selbst sprach weder Deutsch noch Englisch), rief er seinen Schwiegervater an, der in der Schweiz gelebt hatte und wenig später ebenfalls erschien. Um es kurz zu machen: Es kamen allerhand Leute zusammen, mir wurde mal wieder ein vorzügliches Abendessen vorgesetzt und auch ein Gästezimmer, die Dusche und die Waschmaschine wurden mir angeboten. (Nach langer Überzeugungsarbeit war es zumindest in Ordnung, dass ich im Zelt übernachte.)

Was ich bei all der Gastfreundschaft besonders bemerkenswert finde: Viele Kosovaren erzählen mir, dass sie sich in Deutschland oder der Schweiz recht unwillkommen gefühlt haben. Die meisten, die einmal im deutschen Sprachraum gearbeitet haben und jetzt wieder im Kosovo leben, sind zudem ausgewiesen worden und nicht freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt. Wäre es da nicht eine logische Konsequenz, dass sie Fremden in ihrem Land mit ähnlicher Kälte begegnen? Nichts davon konnte ich als Deutscher im Kosovo feststellen. (Natürlich ließe sich hierbei in Frage stellen, ob sie Menschen aller Nationalitäten so aufgeschlossen gegenüber sind. Die bloße Tatsache, dass ich hier als Deutscher so freundlich behandelt werde, beeindruckt mich trotzdem.)

Schein und Sein im Kosovo

Das Land und seine Leute haben mich so beeindruckt – ich muss hier noch etwas verweilen und von etwas berichten, das ich ebenfalls in meinem letzten Bericht bereits angedeutet hatte: Man könnte meinen, der Kosovo wäre arm und unterentwickelt, reist man durch das Land, sieht man allerdings sehr noble Hotels und Restaurants, es gibt gute Supermärkte, Autobahnen werden neu gebaut. Auch diese Beobachtung setzte sich bei meiner Reise fort, auf der Fahrt auf einen Pass kam ich an so vielen edlen Hotels vorbei, ich fühlte mich fast wie in einem Wintersport-Resort in den Alpen.

Doch die Menschen, denen ich begegnete, berichteten mir etwas ganz anderes. Die Mutter der Familie, bei der ich in Gjakova zu Gast war, arbeitet zum Beispiel für einen Euro die Stunde. Und dies ist keinesfalls ein Einzelfall in diesem Land. Der Kosovo hat die Folgen des Krieges also noch lange nicht überwunden, so schön sich das Land auf den ersten Blick auch präsentiert. Es gibt weiterhin sehr große Armut und starke Korruption. Fast alle Menschen, mit denen ich mich auf Deutsch unterhalte, erzählen mir, dass es ihr Traum ist, einmal wieder in Deutschland oder der Schweiz arbeiten zu können und ein Leben ohne (finanzielle) Sorgen zu leben.

Mazedonische Einöde

Nachdem ich die mazedonische Grenze passierte, war ich bald in Skopje. Ich verbrachte allerdings nur den Mittag in der Hauptstadt, es zog mich nach den vielen Begegnungen in die Natur und Abgeschiedenheit. Die traf mich dann sehr schnell, nur wenige Kilometer hinter Skopje waren da auf einmal nur noch die Straße, mein Fahrrad und karge Hügel im Hintergrund. Mazedonien ist recht dünn besiedelt; es gibt einige Ballungszentren, der Rest ist fast menschenleer. Zusätzlich folgte ich die meiste Zeit einer alten Straße, die ihre Funktion durch den Bau der Autobahn verloren hat. Was für ein Kontrast war das innerhalb kurzer Zeit! – hier der boomende und lebendige Kosovo, da das karge, verlassene Mazedonien.

Doch auch die erste Nacht in Mazedonien verbrachte ich erneut nicht alleine. Ich dachte zwar, dass es einen einsameren Zeltplatz nicht geben könnte. Doch gerade, als ich mein Nachtlager einrichten wollte, kam um die Ecke ein älterer Bauer, der mir vorschlug, vor seinem Haus zu zelten. Er lud mich in seine einfache Stube ein, wo wir uns den Abend lang unterhielten, ohne eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Für solche Fälle habe ich vorsorglich ein OhneWörterBuch dabei – eine tolle Sache! Das Buch beinhaltet 650 Bilder, mit deren Hilfe man sich auch ohne gemeinsame Sprache ganz ordentlich unterhalten kann. Der Bauer hatte eine Riesenfreude, mir die mazedonischen Begriffe für die einzelnen Bilder zu nennen und die deutschen Worte zu erfragen, ohne sich auch nur eines davon merken zu können.

Begegnungen auf der Straße

Die Einöde hielt auch in den folgenden Tagen in Mazedonien und Griechenland an. In solchen Zeiten der Einsamkeit ist es umso schöner, auf andere Reisende zu treffen. Es ist schon beeindruckend, dass man selbst in solch einsamen Gegenden, die nun wirklich nicht für den Tourismus bekannt sind, auf andere Radfahrer und Wanderer trifft.

So überholte ich an einem Tag Alois Fuchs. Er ist seit gut 60 Tagen zu Fuß auf dem Jerusalem Way unterwegs. Gestartet ist er in Bayern, sein Ziel ist Alexandroupoli an der griechischen Küste. In den letzten Jahren habe er schon öfter solche langen Wanderungen unternommen. Seiner Erfahrung teilt sich mit meiner: Die größte Gefahr gehe von Autos und Hunden aus, die Menschen in Ungarn, Serbien und im Kosovo seien ihm dagegen mit großer Hilfsbereitschaft begegnet.

An einem anderen Tag sah ich schon aus der Ferne, dass mir ein anderer Radreisenden entgegen kommt – Đorđe Gajić aus Serbien. Er ist recht spontan und mit wenig Geld aus Serbien gen Griechenland losgezogen. Dort hat er einiges erlebt, so berichtet er mir. Zum Beispiel habe er mit einer anderen Person versucht, per Segelboot Kreta zu erreichen. Sie seien allerdings kläglich gescheitert und mussten von der Küstenwache gerettet werden.

Hinter dem Meer liegt Asien

Nach der mazedonischen und griechischen Einöde erfolgte erneut ein abrupter Wechsel und ich fuhr in die Großstadt Thessaloniki ein. Hiermit habe ich fast das Ende des europäischen Kontinents erreicht. Hinter dem Meer warten Asien und die Türkei darauf, entdeckt zu werden.

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3 Kommentare

Sunny Oktober 29, 2018 - 21:00

Worüber kann man sich denn mit dem „OhneWörterBuch“ alles unterhalten kann und wo stößt es an Grenzen?

Antwort
Velospektive Oktober 29, 2018 - 21:08

Es ist sehr hilfreich, wenn der Bauer zum Beispiel unbedingt erläutern will, aus welchen Früchten er seinen Schnapps brennt. Aber klar, es bleibt letztendlich nur eine Ergänzung zu den Händen und Füßen. Am besten lernt man eben doch ein paar Grundworte der jeweiligen Sprache – das will ich für die Türkei auf jeden Fall machen.

Antwort
GK November 21, 2018 - 09:09

Ganz stark das Bild dem Bauern vor seinem Ofen und der Kaffeetasse auf dem Tisch

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