Oh mein liebes Inntal!

by Benni

In Landeck mündet die Rosanna in den Inn. Ab hier folgte ich dem Inntalradweg bis an die deutsche Grenze nach Ebbs. Hier sollte mein Vater auf mich warten.

Das bekannte Inntal

Die ersten zwölf Jahre meines Lebens bin ich im Inntal aufgewachsen. So vieles kam mir direkt bekannt vor: Die Brunnen in jedem Dorf, urige Häuser und Fassaden und nicht zuletzt die freundlichen Tiroler: Eines morgens saß ich vor einer Bäckerei. Ein Mann ging mit dem Handy am Ohr und ohne mich zu grüßen an mir vorbei. Als er die Bäckerei wieder verließ, wandte er sich extra zu mir und sagte kräftig: „Tschuldigung. Jetz aber: Griass di!“ Man grüßt sich noch in Tirol. Auch die meisten Radfahrer, denen ich begegnete, warfen mir ein freundliches „Servus“ zu.

Das unbekannte Inntal

Doch so freundlich und urig das Inntal auch immer noch wirken mag, es hat sich in den letzten 15 Jahren doch gewaltig verändert. An die sich mittlerweile weit in der Minderheit befindlichen Bauernhäuser reihen sich kalte, moderne Betonbauten. Alles wirkt groß und fortschrittlich und will so gar nicht in die beschauliche Alpenregion passen. Irgendwie paradox, sind die meisten Bauten doch für den Touristen gebaut, der – so könnte man meinen – doch gerade für das „Alpenflair“ hierher kommt, das jedoch zunehmend verloren geht. Aber vielleicht schafft sich da auch einfach eine reaktionäre Seite in mir Platz?

Stille Zeugen

Noch etwas zeugt von vergangener Zeit: An unzähligen Stellen begegnet einem im Inntal noch ein „Flur-“ oder „Wegkreuz“, also ein Kruzifix am Wegesrand. Zudem ragen aus allen Dörfern Kirchtürme, auf den meisten Anhebungen findet sich eine kleine Kapelle. Und nicht zuletzt sind noch immer viele Hausfassaden mit christlichen Sprüchen beschrieben.

Doch scheint mir, dass die meisten Tiroler gar nicht Kenntnis nehmen von diesen stillen Zeugen vergangenen Glaubens. Sie sind wie blind für diese Omnipräsenz der Religion, sind damit groß geworden und halten es wahrscheinlich für etwas altes, überwundenes. Wer der vielen Radfahrer, denen ich begegnet bin, nimmt sich noch Zeit, Christus am Kreuz an eine der Kruzifixe zu betrachten. Wer von ihnen weiß überhaupt, was da am Kreuz vor 2000 Jahren passiert ist?

Ich habe mir in jedem Fall versucht, an einer Kirche und einem Wegeskreuz etwas Zeit zu nehmen…

Haflinger zu verkaufen

…bevor ich dann doch schnell weiter musste, weil mein Vater in Ebbs auf mich wartete. Dort fand dieses Jahr zum 52. Mal die große Haflinger-Fohlenversteigerung statt. Mein Vater wurde schon von seinem Vater als Teenager an diese Versteigerung mitgenommen, ich setzte diese Tradition nun gerne fort.

Betritt man das Gelände der Versteigerung, tritt man sofort in ein eigenes Universum ein. Die meisten Bauern und Bieter kennen sich seit Jahren. Es wird mit vielen Fachwörtern, von denen ich mir keins merken konnte, über Statur und Verhalten der Fohlen gefachsimpelt, bevor sie dann im Stadion vorgeführt werden. Das meistumworbene Fohlen ging dieses Jahr für gut 20.000 Euro weg, andere dagegen fanden keinen Käufer und blieben entweder beim Besitzer, oder wurden dem Schlachter übergeben. Für mich sahen die Pferde ja tendenziell alle gleich aus, aber die Leute werden schon wissen, wofür sie ihr Geld ausgeben.

Oh mein liebes Inntal – wie vertraut bist du mir, und wie fremd bist du mir doch geworden! Jetzt wende ich mich gen Süden und bereise eine Region, die ich noch nicht kenne. Doch womöglich werde ich auch dort Bekanntes antreffen?

 

 

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